Baumstatik

Gerade ist der Streit zwischen dem Bioniker Mattheck und der Arbeitsgemeinschaft Baumstatik

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ausgebrochen. Die AFB protestiert gegen eine Preisverleihung an Mattheck. Siehe:
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Sicher geht es dabei auch um die Pfruende von Gutachtertaetigkeit. Mich interessiert aber nichtsosehr wer die ?besseren" Gutachten macht, sondern Die von Mattheck postulierte Gleichmaessige Spannungsverteilung am Baum Wenn ich das richtig verstehe, dann haben Baeume an ihrer Oberflaeche Messfuehler fuer mechanische Spannung, und lagern da, wo diese besonders gross ist Material an, um Sollbruchstellen zu vermeiden. Baeume erreichen dabei die optimale Gestalt, die Mattheck mit mit seinem Computer (finite elemente methode) errechnet. Fuer mich als Nichtfachfrau eine faszinierende Theorie, die doch wohl auch empirisch ueberprueft sein sollte. Die AFB behauptet nun, die konstante Spannung an Baeumen existiere nur in der Phantasie von Mattheck. Wer hat da Recht?

Gruss Gabi

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Gabriela Eitel
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Das Problem ist wohl, daß man die Spannung lokal zur zerstörend messen kann.

Michael Dahms

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Michael Dahms

Gabriela Eitel verlautbarte:

Vmtl. keiner von beiden so ganz, wie meistens in solchen Fällen.

Ich kannte die aus einer anderen Richtung: Wenn man bei Verbindungsonstruktionen, statt Verbindungsstücke aus dem Baukasten zusammenzusetzen, diese Optimierungsmethode anwendet, um die materialsparendste Form zu berechnen, kommen botanisch aussehende Verzweigungen heraus. Offenbar sind Bäume in dieser Hinsicht also ziemlich gut. Eine spannende Frage wäre wohl, ob ihnen die geeigneten Formen nur angeboren sind oder sie sie tatsächlich durch Spannungsmessungen ausbilden. Aber auf jeden Fall wirkt die Optimierung nur lokal und nicht auf die Form des ganzen Baumes. Sonst müßten unter gleichen Bedingungen alle Bäume gleich aussehen. Z.B. kommen manche Bäume auf die Idee, Stammgabelungen auszubilden. Die Verzweigung ist zwar so optimiert, daß sie für eine Verzweigung ein sehr kleines Bruchrisiko hat, aber ohne Gabelung wäre es auf jeden Fall noch besser, wie man an sturmgeschädigtem Wald leicht sieht.

Michael Kauffmann

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Michael Kauffmann

Die konstante Spannung existiert nur für einen bestimmten Lastfall (Windlast) zu einem bestimmten Zeitpunkt. Dreht der Wind oder bekommt der Baum neue Zweige und Blätter, welche den Luftwiderstand erhöhen, dann steigt die Spannung.

Insofern hat die AFB recht, weil der Baum jedes Jahr versucht, seine Statik im Stammbereich den veränderten Luftwiderstand im Kronenbereich und eventuellen Klimaveränderungen anzupassen, ohne jedoch das Optimum zu erreichen.

Die Methode ist zuverlässig, wenn es um den Lastfall "Eigengewicht" geht, weil dieser das ganze Jahr und damit auch während des Wachstums im Sommer wirkt. Sie ist aber für die Windlast problematisch, wenn die meiste Zeit im Jahr Westwind weht, der Baum sich mit seinem Wachstum darauf einstellt, die größten Beanspruchungen aber im Winter bei Nordstürmen auftreten. Diesem Scenario wäre ein "Mattheck'scher Baum" hilflos ausgeliefert.

Mathecks Methode ist insofern interressant, weil die Optimierung relativ langsam erfolgen muss. Ein Baum legt ja pro Jahr auch nur einen Jahresring zu. Bei heutigen Optimierungsverfahren versucht man dagegen, das Optimum möglichst schnell, in wenigen Rechenschritten zu erreichen. Dabei ergeben sich prinzipiell andere Ergebnisse.

Auch die mathematischen Grundlagen unterscheiden sich klar von den heute in der Industrie verwendeten Topologieoptimierern (z.B. OPTISTRUCT der Fa. Altair

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Daher ist seine Methode durchaus erwähnenswert, lobenswert und wohl auch "Preis-wert".

Anselm aus Stuttgart/Esslingen

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Anselm Proschniewski

Moin!

Michael Kauffmann schrieb:

In meiner Studienzeit in Saarbrücken habe ich mal gelernt, dass ein Baum an jedem Ast an jeder Stelle das gleiche Sigma (Lastmoment) hat. Man kann also das Belastungsmoment direkt durch die Dicke des Astes ablesen, wenn die sonstigen Materialkonstanten des entsprechenden Holzes bekannt sind.

Die Optimierung erfolgt dabei stets lokal, aber stets nach den gleichen Gegebenheiten. Das es tatsächlich durch Spannungsmessung funktioniert kann man am 'Heilungswachstum' (?) von Bäumen ablesen.

Das ist übrigens auch bei gebrochenen Knochen zu beobachten, dass die Form stets nach effektiver Belastung wieder in der Form nachoptimiert wird.

Da unterschiedliche Bäume unterschiedlich feste Hölzer haben

- Nein. Bei Bäumen einer Art ist das Mikro/Makroklima entscheidend, der 'Bauplan' ist einfach zu 'unscharf' ;) - da Phytohormonkonzentrationen ausserdem für das Wachstum eine Rolle spielen reichen geringste Unterschiede in den Rahmenbedingungen, um selbst Pflanzenklonen ein unterschied- liches Aussehen zu ermöglichen (vergl.: Phänotyp)

Alles AFAIRC

Ruru (Sorry, bin Biologe)

xpost - f'up2 d.s.b.

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Rüdiger 'Ruru' Hesse

Gabriela Eitel schrieb:

Hallo,

wenn man die Spannungen im Holz nur zerst=F6rend messen kann, dann kann=20 man ja die Theorie auch durch Einleiten zus=E4tzlicher Spannungen=20 =FCberpr=FCfen. Man leitet mit Gewichten, Seilen und Umlenkrollen=20 zus=E4tzliche Spannungen ein und wartet darauf wo zus=E4tzliches Material= =20 angelagert wird. Solche Versuche k=F6nnten aber Jahrzehnte dauern und=20 m=FCssten zur Vermeidung von zus=E4tzlichen Wind- und Schneelasten auch n= och=20 in einem gen=FCgend grossen Gew=E4chshaus durchgef=FChrt werden. Ein Versuch der also einiges an Zeit und Geld erfordert.

Bye

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Uwe Hercksen

Danke fuer eure Antworten.

Der Lastfall Eigengewicht wirkt ja immer, deshalb scheint es mir fuer den Baum besonders einfach sich darauf einzustellen. vielleicht kann sich der Baum aber auch Spannungen merken. Reagieren kann er ja nur waehrend der Wachtumszeit.

Gruss Gabi

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Gabriela Eitel

Moin,

Gabriela Eitel hat geschrieben:

Bezüglich außergewöhlicher Belastungen: es ist ziemlich normal, daß Schnee oder Sturm zu Beschädigungen an den Bäumen führt, nicht nur in Monokulturen sondern auch in Urwäldern (hier in Norddeutschland z.B. am Brockengipfel zu sehen). Es währe als übertrieben zu behaupten, daß die Bäume dank ihres Verfahrens immer optimal gegen alles gerüstet sind.

Aber von wegen Spannungsmessung nur zerstörerisch und so...: Es kann doch sehr wohl sein, daß im Holzgewebe einzelne Fasern reißen ohne daß davon gleich der betroffene Ast abbricht. Später dann in der Wachstumsphase werden diese Fehlstellen repariert und durch zusätzliches Material unterstützt. So könnte sich ein Baum tatsächlich die Jährlichen Spitzenbelastungen über ein Jahr hin merken und dann in der Wachstumsphase berücksichtigen. Wichtig für das Verfahren ist, nicht mathematisch gesagt ein Integral der Spannung über die Zeit aufzustellen, sondern nur jene Spannungsspitzen zu berücksichtigen, die über einem Grenzwert liegen.

Und ganz grundsätzlich zu diesem Streit. Bauings haben manchmal ein komisches durch die Praxis geprägtes Verhältnis zu Spannungen. Daraus resultiert, daß wenn in einem Tragwerk an einem Knoten zu große Biegespannungen auftreten, der Bauing daraus folgert, daß er diesen Knoten dünner weil weicher auslegen muß. Klingt natürlich widersprüchlich, ist aber meistens richtig. Steife Verbindungen ziehen die Spannungen regelrecht an. Daß also ein Bauing gegen die Thesen des optimalen Baumwachstums Einspruch erheben könnte, wundert mich nicht. Allerdings werden dabei natürlich immer die Randbedingungen vergessen. Ein Baum ist halt kein überbestimmtes System, so wie es in der Baustatik üblich ist.

Ich glaube Streit entsteht da nur dort, wo zu grobe Pauschalisierungen aufeinander treffen. Tatsächlich würde die Optimierung eines Tragsystems ohne Gelenke (wie bei Bäumen) nach solchen biologischen Methoden zu grausam schlechten Ergebnissen führen. Tatsächlich sind diese biologischen Optimierungsmethoden aber schon in der Technik erfolgreich angewendet worden (allerdings mit zusätzlichen Zwangsbedingungen wegen der Herstellbarkeit bei Gußteilen weil es soll ja am Ende auch noch billig sein und nicht nach Colani aussehen).

CU Rollo

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Roland Damm

Roland Damm schrieb:

Genauer gesagt basiert ein FEM-Optimierungstool fuer ANSYS auf diesen Arbeiten. Und das funktioniert sehr gut.

MfG

Stephan

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Stephan Lange

Hallo Gabriela, 30.10.2003

vielen Dank dafür, daß Du uns auf den Disput Mattheck gegen die Arbeitsgemeinschaft Baumstatik aufmerksam gemacht hast.

Mich freut es sehr, daß der Außenseiter Mattheck einen Preis bekommt! Häufig werden von neidischen "Wissenschaftlern" neue Ansichten und neue Ideen totgeschwiegen. Nun, da ein Bekanntwerden von Mattheck durch die (relativ lukrative) Preisverleihung nicht mehr zu verhindern ist, jetzt kommen die Neidhammel endlich aus ihren Löchern gekrochen. Futterneid läßt ihr wahres Gesicht erkennen. Ständig wird davon gefaselt und geschrieben, daß ein Ruck durch Deutschland gehen soll, und daß wir mehr Innovationen benötigen. Wehe es kommt aber wirklich jemand mit eigenen Gedanken und schaut aus der Hecke heraus, schon versucht man die Schere anzusetzen um ihn wieder auf Mittelmaß zurechtzustutzen.

Aus den Jahren 1988/89 habe ich einige Veröffentlichungen von Mattheck. Die von Dir genannte "gleichmäßige Spannungsverteilung im Baum" fand ich nicht von ihm genannt. Auch im aufrecht stehenden Baum wirkt nach außen hin eine Zugspannung, nach innen eine Druckspannung. Gleichmäßig müssen sie nicht verteilt sein. So lange der Stamm nicht reißt, die Zug- oder die Druckfestigkeit im Holz selbst stellenweise nicht überschritten ist, merkt man dem Baum eine eventuelle, ungleichmäßige "Verspanntheit" nicht an. Einige von Mattheck beschriebene Phänomene sind schon lange Allgemeingut und finden sich z.B. in Lehrbüchern der Forstbotanik, worauf er hinweist. Wenn man sich wie ich seit Jahren ? aber aus einer anderen Blickrichtung ? mit Bäumen beschäftigt, kann ich die mir vorliegenden Erkenntnisse des Herrn Mattheck, rein gefühlsmäßig ohne Finite Elemente, ohne viel Mathematik und ohne Computerprogramme, nachvollziehen.

Viele Grüße

Karlheinz

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Karlheinz Hahn

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