Phasenschieber und Stromtrassenauslastung

Hallo zusammen,

ich bin eben mehr in der Elektronik zu hause als im Energieübertragungsbereich. Trotzdem interessierts mich eben mal:

Die Polen installieren jetzt wohl an den Grenzen irgendwelche Phasenschieber, um deutschen Strom aus Ihren Netzen fernzuhalten. In der Diskussion darüber taucht immer wieder der Begriff Blindstrom auf. Für mich passt das irgendwie nicht so recht zusammen. Gescheite Infos habe ich im Netz nicht gefunden. Wie Blindstromkompensation funktioniert und wozu das gut ist, ist mir klar, was das mit Leitungssteuerung zu tun hat, ist mir aber nicht klar geworden und was Phasenschieber mit Blindstrom zu tun haben auch nicht.

Kann mich mal jemand aufklären? Ich vermute mal, dass da irgendwelche "Fachjournalisten" einiges Durcheinanderwerfen, oder?

CU Marte

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Marte Schwarz
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Eine Wechselstrom-Verbundnetz funktioniert nur, wenn /alle/ Energieerzeuger /exakt/ phasensynchron einspeisen. Andernfalls entsteht so etwas wie ein teilweiser Kurzzschluss. Dann fließt Leistung von einem Erzeuger zum anderen, anstatt vom Erzeuger zum Verbraucher.

Das erfordert zum einen eine akkurat synchronisierte Frequenz als auch begrenzte Leitungslängen. Nach 1000 Kilometern Freileitung ist die Phase aufgrund der begrenzten Ausbreitungsgeschwindigkeit nicht mehr synchron. Mit Phasenschiebern kann man solche Phasenunterschiede in Grenzen ausgleichen, respektive in die Energietransportrichtung eingreifen.

Siehe auch

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Marcel

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Marcel Müller

Am Tue, 11 Jun 2013 09:39:12 +0200 schrieb Marte Schwarz:

Ich frage mich, warum die so etwas nicht auch wieder für Autoschieber einführen. Na, kommt dann vielleicht mit Elektroautos ;-)

Lutz

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Lutz Schulze

Ich versuch mal eine kurze Antwort, auch auf die Gefahr hin so grob zu vereinfachen, dass es schon wieder falsch wird :-( die Spezialisten hier wie z.B. Jakob Bradel koennen mich dann ja korrigieren :-)

Energieuebertragung im Netz ist Uebertragung von aktiver und reaktiver Leistung. Synchrongeneratoren (Grundlastkraftwerke) erlauben die Aenderung des Phasenwinkels bei gleichbleibender Frequenz. Das heisst du hast zwei (in Grenzen) unabhaengige Parameter auf der Einspeisungsseite. Uebertragungsleitungen haben ebenfalls eine komplexe Impedanz, wo insbesondere bei Hochspannungsleitungen das Verhaeltnis Reaktanz zu Widerstand recht hoch ist. Analysiert man diese Situation (X>>R) und macht ein paar Vereinfachungen, dann findest du heraus, dass:

1) die Spannungen im Netz bzw. der Spannungsabfall einer Uebertragungsstrecke wird im wesentlichen von der Blindleistung bestimmt 2) die Phasenverschiebung wird im wesentlichen von der uebertragenen Wirkleistung bestimmt. 1) bedeutet, dass du durch das Einspeisen bzw. Abziehen von Blindleistung eine Moeglichkeit der Spannungsregelung realisieren kannst. 2) heisst im Umkehrschluss, dass du den Wirkleistungsfluss durch Phasenschieber beinflussen kannst.

Wenn du's genauer wissen willst musst du dir in Buechern der Energietechnik die Berechnungen anschauen. Das ist meiner Meinung nach wirklich einer der Faelle wo ein bischen komplexe Mathematik mehr sagt als tausend beschreibende Worte.

Gruss Klaus

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Klaus Bahner

Das sollte natuerlich "Joerg Bradel" heissen - sorry!

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Klaus Bahner

Marte Schwarz schrieb:

Hallo,

ich vermute da steckt folgendes dahinter: das polnische Netz ist mit dem deutschen an mindestens zwei Stellen verbunden. Ein bestimmter Stromfluß im deutschen Netz sieht dann einen möglichen Parallelzweig im polnischen Netz und benutzt diesen auch. Es fliesst also an dem einen Punkt Strom von Deutschland nach Polen und kehrt an dem anderen Übergabepunkt wieder zurück ins deutsche Netz. Um sich dadurch nicht einen Teil der möglichen Übertragungskapazität der polnischen Hochspannungsleitungen zu blockieren bauen die Polen jetzt Drosseln an den Übergabepunkten ein um so den komplexen Widerstand für den "deutschen Durchflußstrom" zu erhöhen. Stromübernahme von Deutschland nach Polen oder umgekehrt geht aber trotzdem.

Bei HGÜ Strecken die parallel zu Wechselstromeleitungen verlaufen hat man offenbar auch das Problem das zuviel Strom über die HGÜ Strecken fliesst, dagegen setzt man offenbar auch Drosseln ein.

Diese Drosseln zur Steuerung des Stromflusses im Verbundnetz dürfen aber doch nicht zu erheblichen Blindströmen im Netz führen.

Bye

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Uwe Hercksen

Hallo, Uwe,

Du meintest am 11.06.13:

Auf der Gleichstrom-Leitung?

Viele Gruesse! Helmut

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Helmut Hullen

Marte Schwarz schrieb:

Nicht nur die polnischen Nachbarn. Auch die anderen denken mittlerweile darüber nach.

Das sind Querregler (90°). Damit wird Wirkleistung geregelt. Blinde (Spannung) verschiebt man mit Längsreglern (0°) Will man Wirk- und Blindleistung gleichzeitig regeln, braucht's Schrägregler (+ oder - 60°).

VG Jörg

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Joerg Bradel

Klaus Bahner schrieb:

Danke! ;-)

VG Jörg

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Joerg Bradel

Ingrid schrieb:

Vielleicht noch kurz etwas zur Konstruktion. Querregler haben wir noch nicht, aber Schrägregler. Das sind drei Einphasentrafos mit einer Primärwicklung in Sparschaltung, sowie einer Erreger- und einer Hilfswicklung. In Abhängigkeit der Verschaltung der drei Erreger- und Hilfs- wicklungen auf der 30kV-Seite (das ist ein übler Trennerverhau) entsteht daraus eine Trafobank mit plus oder minus 60° Grad- Regelung. Bei der positiven Regelung ändert sich bei der Stufung der Bank der Wirk- und Blindleistungstransport in die Mittelspannung gleichsinnig (Spannung steigt, Wirkleistung steigt // Spannung sinkt, Wirkleistung sinkt), bei negativer Regelung gegensinnig (Spannung steigt, Wirkleistung sinkt // Spannung sinkt, Wirkleistung steigt). Leider habe ich gerade kein Schaltbild zur Verfügung. Bei Interesse kann ich das nachreichen, auch das Zeigerdiagramm.

Querregler sind ähnlich aufgebaut (drei oder sechs Einphasen- trafos (abhängig von der zu übertragenden Leistung)).

VG Jörg

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Joerg Bradel

Da bin ich absolut dafür!

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Emil Naepflein

Hi Uwe und alle anderen,

Aber mal ganz blöd gefragt: Darin liegt doch schließlich der Vorteil dieses Verbundnetzes. Wenn man den nicht will, dann kann man sich doch viel Stress im Netz schenken und kleine Inselnetze schaffen. Die bleiben dann in der Phasenlage zwangsläufig und ohne viel Phasenschieberei synchron.

Marte

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Marte Schwarz

Am Wed, 12 Jun 2013 15:14:25 +0200 schrieb Marte Schwarz:

Die sehen nicht unbedingt einen Vorteil darin ihre Kraftwerke abzuregeln weil unser Strom das Netz belegt. Irgendwie wollen sie ihren Strom ja auch noch zu den Nutzern bringen.

Lutz

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Lutz Schulze

[snip]

Hier geht es ja nicht wirklich um die Regelung des Verbundnetzes, sondern vielmehr darum, dass man in Norddeutschland einen Ueberschuss an Windkraftanlagen hat. Der Strom dieser Anlagen wird in Sueddeutschland verbraucht, leider gibt es in D nicht genuegend Nord-Sued-Trassen, also macht der Strom den Umweg ueber z.B. Polen. In einer idealen Welt waere das kein Problem, in der wirklichen Welt wo diverse Netzbetreiber und Energieversorgungsunternehmen mit Strom Geld verdienen wollen, entstehen dann allerding Interessenkonflikte :-)

Gruss Klaus

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Klaus Bahner

Helmut Hullen schrieb:

Hallo,

am Drehstromanschluß davor und dahinter natürlich, ist denn mitdenken wirklich so schwer?

Bye

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Uwe Hercksen

Den brauchen sie nicht hin zu bringen, da er ja von uns kommt.

Das Problem ist, dass die Stromversorger in diesen Ländern sich nicht die hohen Strompreise kaputt machen lassen wollen. Es geht ihnen letztlich nicht um die Netzsicherheit, sondern darum dass sie ihr Monopol/Oligopol schützen. Sie wollen den Strom aus den eigenen Kraftwerken teuer an ihre Kunden verkaufen, anstatt dass billiger Importstrom ihre Kraftwerke unrentabel macht.

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Emil Naepflein

Hallo, Uwe,

Du meintest am 13.06.13:

Sorry - bevor ich interpretiere, frage ich lieber nach.

Viele Gruesse! Helmut

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Helmut Hullen

Am Thu, 13 Jun 2013 10:19:25 +0200 schrieb Emil Naepflein:

Ungebetene Lieferung, die hatten gar keinen angefordert. Lutz

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Lutz Schulze

Marte Schwarz schrieb:

Der ursprüngliche Gedanke eines Synchronverbundes war die gegenseitige Hilfe bei Bilanzabweichungen und Störungen. Er war als Solidargemeinschaft konzipiert. Mit dem Einbau von diversen Reglern an den Grenzen wird man diese Gemeinschaft aufgeben. Das Gesamtsystem bleibt zwar synchron, am Ende hat man aber Kleinstaaterei, weil jeder an seiner Grenze die Regler so einstellt, dass er keine Probleme hat. Man könnte das auch synchrone Inseln nennen. VG Jörg

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Joerg Bradel

Übrigens, der physikalische Ringfluss über Polen hängt nicht direkt mit hoher Windkrafterzeugung im Netzgebiet von 50Hz zusammen. Dies zeigt eine Korrelation der Differenz zwischen physikalischem und kommerziellem Fluss mit der Windeinspeisung im Netz von 50Hz:
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(Seite 79)

Zitat: Da in Abbildung 53 gezeigt wurde, dass die Ringflüsse auch bei niedriger Windeinspeisung in der 50Hertz-Regelzone auftreten, liegt die Vermutung nahe, dass die Ringflüsse nicht auf eine zu hohe Windenergieeinspeisung in der

50Hertz-Regelzone, sondern z.B. auf das verwendete Marktdesign zurückzuführen sind.

Zitat: Es gibt eindeutige Hinweise, dass die Ringflüsse durch die osteuropäischen Nachbarstaaten in erster Linie durch ein unvollkommenes Marktdesign und nicht durch den Ausbau der erneuerbaren Energien oder den Kernenergieausstieg in Deutschland verursacht werden. Der deutsche Spotmarkt basiert auf der Fiktion nicht vorhandener Netzengpässe (?Kupferplatte?), die in der Realität nicht zutrifft. Da viele Anlagen mit niedrigen Grenzkosten (Braunkohle und Wind) in der 50Hertz-Regelzone installiert sind, treten Situationen auf, in denen der Spotmarkt Impulse gibt, in der 50Hertz-Regelzone zu viel Strom zu produzieren oder zu viel Strom in die 50Hertz-Regelzone zu importieren. Da der Erzeugungsüberschuss in der 50Hertz-Regelzone offensichtlich so groß ist, dass er mit Redispatch allein nicht abgebaut werden kann, treten Ringflüsse auf. Eine Reihe von Maßnahmen würde sich anbieten, um die auftretenden Ringflüsse zu verringern:

- Bei einem absehbaren Erzeugungsüberschuss in der 50Hertz-Regelzone könnten Braunkohlekraftwerke abgeregelt werden. Dies könnte über erhöhte Netznutzungsentgelte (G-Komponente) oder ordnungsrechtliche Vorgaben geschehen.

- Bei einem absehbaren Erzeugungsüberschuss in der 50Hertz-Regelzone sollte kein zusätzlicher Strom importiert werden. In diesen Stunden könnte der NTCWert für den Import auf null gesetzt werden.

- Es könnte der Vorschlag von CEPS et al. (2012) aufgegriffen werden und die Preiszone Deutschland/Österreich aufgeteilt werden. Dabei wäre noch eingehend zu prüfen, wo die bestehende Preiszone geteilt werden sollte. Die bisherigen Ergebnisse des Netzentwicklungsplan 2012 haben einen großen Netzausbaubedarf zwischen Nord- und Süddeutschland festgestellt. Dies deutet darauf hin, dass die Aufteilung der Preiszone zwischen Nord- und Süddeutschland z.B. auf Höhe von Frankfurt (Main) voraussichtlich sinnvoller ist als zwischen Deutschland und Österreich.

- Volkswirtschaftlich am effizientesten wäre es, wenn Strom aus der 50Hertz- Regelzone kommerziell nach Polen und Tschechien exportiert werden könnte. Dies würde bei der Aufteilung der deutschen Preiszone voraussichtlich automatisch geschehen. Alternativ könnten die NTC-Werte für Exporte von Polen und Tschechien nach Deutschland auf null gesetzt werden. Die deutschen Übertragungsnetzbetreiber würden dann im Rahmen der erwarteten Ringflüsse Übertragungskapazitäten für die betroffenen Interkonnektoren kaufen. Dies schließt den Erwerb von Übertragungskapazitäten für Exporte von Deutschland nach Polen, für Exporte aus dem Netzgebiet der 50Hertz nach Tschechien, für Exporte von Polen nach Tschechien, für Exporte von Tschechien nach Österreich und für Exporte von Tschechien in das Netzgebiet der TenneT ein. Vereinfacht würden dann folgende Ringflüsse auftreten:

-- Strom fließt vom Netzgebiet der 50Hertz über Polen und Tschechien nach Österreich.

-- Strom fließt aus dem Netzgebiet der 50Hertz nach Tschechien und von dort in das Netzgebiet der TenneT.

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Auch sonst sind in der Studie einige interessante Erkenntnissezu finden. Z.B. dass auch Frankreich kostenlos das deutsche Netz "missbraucht" um seinen Strom in signifikanter Höhe in die Schweiz und Österreich zu exportieren. Im Jahr

2011 betrug der kommerzielle Importsaldo mit Frankreich nur 2,4 TWh, gleichzeitig wurden aber 20 TWh physikalisch importiert.

Desweiteren wird auch meine Aussage mit dem Export Strom aus nicht abgeregelten Kraftwerken bestätigt:

Zitat: Der Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland hat Einfluss auf den Stromaußenhandel. Bis vor kurzem exportierte Deutschland vor allem nachts Strom aus Grundlastkraftwerken. Insbesondere im Sommer 2012 stieg die Stromausfuhr Deutschlands vor allem am frühen Nachmittag, wenn viel Strom aus Photovoltaikanlagen zur Verfügung stand. Offensichtlich werden fossile Kraftwerke nicht heruntergefahren, sondern ihre Stromproduktion ins Ausland verkauft wo Kraftwerke mit höheren Grenzkosten außer Betrieb genommen werden.

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Reply to
Emil Naepflein

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