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Moin!
Also, so langsam wird es ja unheimlich: Schon wieder ein Transformatorschaden (als Auslöser), schon wieder eine Reaktorschnellabschaltung: Heute morgen um drei Uhr ging das Kernkraftwerk Emsland in Lingen (RWE) vom Netz (nochmal 1,4 GW weg).
Was ist denn da los?
Vermutung: Wegen des fehlenden Generatorleistungsschalters rummst es doch jedesmal bei Schalthandlungen auf der Primärseite ganz beachtlich, weil die transienten Generatorkurzschlußströme jeweils im Maschinentrafo landen, denn geschaltet wird immer nur auf der (oberspannungsseitigen) Sekundärseite.
Abschätzung: Der Krümmel-Generator (dürfte ein Vollpolläufer sein) hat einen Bemessungsstrom von ca. 28 kA, der Anfangskurzschlußstrom dürfte beim gut Fünffachen liegen, also etwa 150 kA, bei anderen GW-Kraftwerken dürften die Größenordnungen ähnlich sein. Das sich die Kräfte quadratisch zu den Stromstärken verhalten, rütteln Schaltstromstöße jeweils die Abstandhalter (Windungsträger) der Wicklungen in den Maschinentransformatoren jeweils kräftig durch, und wenn die in die Jahre kommen, dann fangen die an zu bröseln.
Dazu kommt mutmaßlich noch eine eine offensichtlich falsche Schutzauslegung: Bei einer Differentialschutzanregung wird wegen der Eigenbedarfsversorgung keine komplette Netzfreischaltung durchgeführt, also beide Trafoabgänge von der Hochspannungsleitung getrennt, sondern nur der des gestörten, weil der intakte aus dem Netz den unterspannungsseitig angeschlossenen Eigenbedarfstrafo speisen soll. Dazu muß die Unterspannungsseite dieses Trafos von der Generatorschiene getrennt werden, weil die einen Spannungseinbruch hat, denn von dort wird der Fehler in dem anderen Maschinentransformator gespeist.
Indes kann das nicht funktionieren: Der dafür erforderliche Generatorschalter hat nämlich nur Last- und kein Leistungsschaltvermögen, aber wegen des Fehlers im Unterspannungsbereich fließt über den intakten Strang aus dem Netz ebenfalls Kurzschlußstrom über den Schalter, und den kann der nicht löschen. Der Spuk wird erst dadurch beendet, daß ein Schutzgerät durch die Öffnung des (oberspannungsseitigen) Leistungsschalters auch den gesunden Trafo vom Netz nimmt, wodurch es dann durch den Spannungseinbruch in der Eigenversorgung zu einer Reaktorschnellabschaltung kommt (die so programmiert ist und für sich genommen nicht auf ein Problem im nuklearen Anlagenteil zurückzuführen, also eigentlich unnötig war).
Der sehr hohe kombinierte Generator- und Netzkurzschlußstrom hat 2007 den Transformatorbrand des Trafos AT01 in Krümmel ausgelöst - der Distanzschutz reagierte erst relativ spät (Rückfallstufe) und schaltete dann Trafo AT02 ab.
Meine Hypothese: Bei diesem Vorfall wurden durch den relativ lange fließenden Kurzschlußstrom die Abstandhalter im Trafo AT02 beschädigt, hielten aber zunächst noch. Bei einer Prüfung fällt das nicht auf: Die Isolationsfähigkeit ist vollumfänglich gegeben, die elektrischen Prüfungen zeigen keine Auffälligkeiten. Zwei Wochen nach dem Wiederanfahren ist es dann soweit: Der normale Betriebsstrom hat einen der angeknacksten Abstandhalter kaputtgerüttelt, er bricht, und es kommt zu einem internen Fehler. Der Differentialschutz registriert das und veranlaßt das vorgesehene Prozedere.
Und wieder passiert genau der gleiche falsche Ablauf wie vor zwei Jahren, diesmal spiegelbildlich umgekehrt: Der Generatorschalter kann den (ersetzten) fehlerfreien Transformator AT01 wegen des Netzkurzschlußstroms nicht von der Generatorschiene isolieren, aus AT02 treten infolgedessen 10 t Isolieröl aus, er weist anschließend weitere schwere Schäden auf. Etwas ist anders: Diesmal wird der Netzkurzschlußstrom über den intakten Zweig nicht durch eine Distanzschutzanregung unterbrochen, sondern der Differentialschutz des Transformators AT01 spricht an (weswegen der Kurzschlußstrom diesmal vielleicht nicht lange genug floß, um einen Brand auszulösen), zu deutsch: Bei dem trat dann auch ein Fehler auf.
Man darf annehmen, daß beide Transformatoren schwer beschädigt sind.
Und für Emsland darf man davon ausgehen, daß der an sich harmlose Lichtbogenkurzschluß im Stufenschalter (vermutlich ebenfalls mit einer Differentialschutzanregung) dann für den anderen Transformator den gleichen Fehlerbehandlungsfehler wie bei Krümmel hervorgerufen hat und nun der andere Maschinentransformator ebenfalls stark vorgeschädigt ist. RWE hat es nur zu einer dürren Pressemeldung gebracht und verhält sich im Vergleich zu Vattenfall mit Details außerordentlich bedeckt - die Tragweite des Vorliegens einer Reaktorschnellabschaltung scheint in der Öffentlichkeit noch niemand so recht erfaßt zu haben.
Unsere Kernkraftwerke haben alle schon ein ganz ordentliches Alter. Könnte es vielleicht sein, daß die jetzt alle latente Transformatorschäden aufweisen und das Risiko vergleichbarer Ausfälle nun gehäuft besteht? Das ist keineswegs nur eine Frage der Versorgungs-, sondern auch eine der nuklearen Sicherheit: Dieses (so IMHO untaugliche) Konzept der Eigenbedarfsdeckung aus dem 380-kV-Netz für den Fall einer Störung in der Generatorableitung ist Bestandteil der atomrechtlichen Betriebsgenehmigung, es berührt nämlich die nukleare Sicherheit (auch, wenn die Versorgung aus dem 380-kV-Netz nur die erste in einem dreistufigen redundanten Konzept zur Eigenbedarfssicherung ist - die anderen beiden sind die Umschaltung auf das 110-kV-Fremdnetz und der Start von Notstromdieselgeneratoren bei dessen Ausfall).
Ich glaube, daß die Kernkraftwerke jetzt eigentlich alle vom Netz genommen werden müßten und erst wieder angefahren werden dürften, nachdem Generatorleistungsschalter eingebaut und die Transformatoren auf entsprechende latente Schäden untersucht wurden. Problem dabei: Die Generatorleistungsschalter dürften bei den Herstellern nicht gerade auf Abruf am Lager liegen - die reine Stückzahl wird dabei wohl zu einem Problem.
Gruß aus Bremen Ralf