Der grundlegende Streit auf der 4.Versammlung deutscher Architekten und Ingenieure im Jahre 1845 in Halberstadt: Es ging um die Frage, wie in Zukunft der fachliche Austausch stattfinden soll

Der grundlegende Streit auf der 4.Versammlung deutscher Architekten und Ingenieure im Jahre 1845 in Halberstadt: Es ging um die Frage, wie in Zukunft der fachliche Austausch stattfinden soll

Die Fachwelt der Architekten und Ingenieure, die im deutschsprachigen Kulturraum verankert war, hatte sich in der ersten H=E4lfte des 19.Jahrhunderts dazu entschlos- sen, gemeinsame Treffen zu organisieren, um den fachli- chen Austausch zu pflegen. Ein solches Unternehmen zu dieser Zeit zu organisieren, d=FCrfte ein gro=DFes Wagnis dar- gestellt haben. Auf der 3.Versammlung in Prag hatte man beschlossen, die vierte gemeinsame Versammlung in Halberstadt abzuhalten. Halberstadt galt als "eine Stadt durch Anmuth der Lage und alterth=FCmliche Bauwerke man- nigfachen Charakters ausgezeichnet". Aber man traf sich gerade dort, denn sie war "in Mitten jener Gegenden Deutschlands gelegen, in denen f=FCr die betreffenden Ver- sammlungen bishero die regste Theilnahme sich besth=E4- tigt hatte". (1) Das Treffen war bestens organisiert wor- den:

"Empfangen wurden die Ankommenden auf dem Bahnho- fe - woselbst ihnen eine Ehrenpforte errichtet war - durch die Mitglieder des vorbereitenden Comit=E9: den oberen technischen Beamten des betreffenden Regierungsbe- zirks" (2)

Es hatten sich 169 Teilnehmer aus unterschiedlichsten deutschen Landen in die Teilnehmerliste eingetragen. Darunter waren Professoren, Bausekret=E4re, Bauinspek- toren, Kreisbaumeister, Maurermeister, Wegebaumei- ster, Architekten, Bahndirektoren, Ingenieure, ein Advo- kat, ein Rathszimmermeister, Baukondukteure, ein Was- serbauinspektor, ein Bau-Eleve, ein Museumsdirektor, Landbau-Kondukteure, ein Buchh=E4ndler, ein Lieutenant, ein Hofbaumeister, ein Eisenh=FCttenbesitzer, ein Lehrer, ein Buchdrucker und viele andere, die am Thema inter- essiert waren.

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Zum Treffpunkt ausgew=E4hlt war das "Hotel de Prusse", das =FCber ausgedehnte R=E4umlichkeiten verf=FCgte. Die Gasth=E4user und Hotels der Stadt waren an den vier Ta- gen des Treffens gut ausgelastet. Man traf sich vom

21.-24. August 1845 und hatte Arbeitssitzungen, eine Ausstellung und Besichtigungsfahrten organisiert. Die Versammlung erreichte eine Einladung nach Braun- schweig, die dazu dienen sollte, deren interessante Stadtentwicklung zu pr=E4sentieren. Man nahm nach hef- tigen Diskussionen diese Einladung an und fuhr am letzten Tag der Versammlung nach Braunschweig. (3)

Als erster Redner trat auf der vierten Versammlung der deutschen Architekten und Ingenieure der Architekt Romberg auf. Er war Herausgeber einer "Zeitschrift f=FCr praktische Baukunst" und hatte speziell f=FCr diese Ver- sammlung ein Blatt drucken lassen, das er unter den Teilnehmern der Versammlung austeilen lie=DF. Er hatte neun Fragen aufgeworfen, welche diskutiert werden soll- ten. Sie bezogen sich auf das Bauwesen und darauf, wie eine Fachdiskussion mehr Inhalt gewinnen kann.

"Der Vortragende erkl=E4rte sich unzufrieden mit der Form in welcher diese Versammlungen bisher gehalten wur- den. /.../ Er fordere als Resultat dieser Versammlungen Vermittlung der entgegengesetzten Kunstbestrebungen, und da dieses Resultat bisher nicht sei erreicht worden, so sei der Zweck dieser Versammlungen als ein verfehl- ter zu bezeichnen. Er fordere eine Besprechung, einen Austausch von Meinungen; diese aber w=FCrden durch Vortr=E4ge denen keine Entgegnung folgt nicht bewirkt." (4)

Die Grundz=FCge seines Vortrages waren bereits in sei- ner Zeitschrift abgedruckt worden, und zwar als Auf- satz mit dem Titel: "Was k=F6nnen die allgemeinen deutschen Architektenversammlungen der Baukunst und der Bauwissenschaft werden?".

Es kam dann auf der Versammlung zu dem, was er sich gew=FCnscht hatte, n=E4mlich es folgten heftige Diskussio- nen.

"Mit der Beendigung dieses Vortrages stellte in der Ver- sammlung eine mehr und mehr sich steigernde Bewe- gung ein, und von verschiedenen Seiten wurden die Vor- schl=E4ge und W=FCnsche und der Tadel, welche Herr Rom- berg soeben dargelegt hatte, nachbarlich und =F6ffentlich besprochen." (5)

Als erster Entgegner wagte sich Wilhelm Stier das Wort zu erheben, das vielleicht in dieser Be=E4ngstigung einen vorl=E4ufigen H=F6hepunkt hatte. Er sagte n=E4mlich:

"Ich bin der Meinung da=DF gegen=FCber den obwaltenden Umst=E4nden von Herrn Romberg allzuviel: theils Unm=F6g- liches, theils sehr gef=E4hrliches gefordert wird; und das bisher Geleistete f=FCr Nichts zu achten, scheint mir eine Sch=E4tzung der Sache sehr unter ihrem Wert." (6)

Man mu=DF dazu wissen, da=DF Wilhelm Stier Vorstands- mitglied dieser Vereinigung war, die in Halberstadt ihr viertes Treffen organisiert hatte. Auf der Versammlung im Jahr zuvor, die "zu Prag" stattgefunden hatte, w=E4re viel Unmut aufgekommen. Dazu hatte Romberg gesagt:

"Zu Prag habe das Gef=FChl des Nichtbefriedigtseins unter den Mitgliedern der Versammlung allgemein sich ausge- sprochen." (7)

Es sollten also f=FCr die Zukunft Versammlungen erreicht werden, die nach Fachvortr=E4gen eine kritische Durch- dringung des Vorgetragenen erlaubten. Damit das bes- ser erreicht werden kann, hatte Romberg auch die Bil- dung von Sektionen angeregt, damit die Personen, die in den Sektionen des Fachgebietes ihr eigentliches Wissen haben, zu einem intensiveren Austausch gelan- gen k=F6nnen. Wilhelm Stier, bestrebt die Versammlung zusammenzuhalten, hielt dem Denkansatz von Rom- berg entgegen:

"Unsere Versammlungen nur zu einem Kampfplatz um Principfragen zu machen, auf welchem parlamentarisch mit Erhitzung und Aerger - was in dieser Form nicht aus- bleibt - gestritten wird; dies, so glaube ich mit Bestimmt- heit versichern zu d=FCrfen, ist keineswegs der Wunsch der =FCberwiegenden Mehrheit der Theilnehmer. Gez=E4n- kes und Aergers - so meinen sie - haben wir ja t=E4glich auf dem Bauplatz und unter den Akten in F=FClle; m=F6gen sie uns nicht auch hierher verfolgen in diese Versamm- lung, nach welcher wir uns fl=FCchten um doch Einige Tage im Jahre des Friedens zu genie=DFen und von Her- zen froh sein zu k=F6nnen!" (8)

Diskussionen w=E4hrend oder im Anschlu=DF der Vortr=E4ge mochte Wilhelm Stier in keinster Weise aufkommen lassen, sondern er wollte sie aus den Arbeitssitzungen heraushalten:

"Zu Diskussionen =FCber die behandelten Gegenst=E4nde bieten die geselligen Vereinigungen au=DFer den Ge- sch=E4ftssitzungen hinreichenden und wie ich glaube, den allein passenden Raum." (9)

Etwas sp=E4ter wird die eigentliche Angst deutlich:

"Und dann frage ich - rede ich doch zu K=FCnstlern - w=FCr- de es sch=F6n zu nennen sein, wenn man Dem, der das Resultat von Erfahrungen die sich ihm darboten, von Er- findungen die ihm gelangen, von Forschungen denen er nachging, uns mitzutheilen hat, wenn man diesem

- einem schwei=DFbedeckten K=E4mpfer zumeist - Dank sa- gen wollte mit den Steinw=FCrfen einer =F6ffentlichen kriti- schen Debatte?" (10)

Der Architekt und Fachzeitungsherausgeber Romberg, so mu=DF man erg=E4nzen, hatte auch gefordert, die Fach- vortr=E4ge ganz sein zu lassen, lieber die Zeit der Ver- sammlungen zu Grundsatzdebatten zu nutzen. Eine solche Ab=E4nderung h=E4tte sicherlich dazu gef=FChrt, da=DF, der Streitereien wegen, diese gro=DFen allj=E4hrlichen Ver- sammlungen der Architekten und Ingenieure nicht mehr besucht worden w=E4ren. Wilhelm Stier redete also anfangs gegen einen Zerfall dieser Versammlungen an und fand im Laufe seiner Entgegenhaltung zu seinem konstruktiven Vorschlag:

"Ein Anderes ist es dagegen mit der Diskussion, wenn es der Versammlung gefallen sollte in einzelne Sekzio- nen sich zu vertheilen und wenn es diesen gen=FCgend erschiene mit einzelnen Fragen ausf=FChrlicher sich zu besch=E4ftigen. Hier im engeren Kreise w=FCrde ich selbst an solchen Diskussionen gern Theil nehmen" (11)

Nach der Entgegnung durch Wilhelm Stier folgten noch andere Meinungs=E4u=DFerungen, die darin gegipfelt haben sollen, da=DF gemeint wurde, "man glaube in diesen drei oder vier Tagen weder Berge abtragen, noch Th=E4ler ausf=FCllen zu k=F6nnen". Als die Debatten zu einem Ende gekommen waren, lie=DF der Gesch=E4ftsf=FChrer der Ver- sammlung abstimmen und forderte dazu auf,

"man m=F6ge durch Aufstehen oder Sitzenbleiben f=FCr oder wider den Vorschlag des Herrn Romberg sich erkl=E4ren. Hierbei wurde mit entschiedener Stimmenmehrheit der gesamte Vorschlag abgelehnt." (12)

Man machte also weiter so wie gehabt und gab sich Vor- tr=E4gen hin, die im unverbindlichen Gespr=E4ch beim ge- selligen Zusammensein kommentiert wurden. Der ein- zige Vortrag, f=FCr den damals eine Fachdiskussion auf- kommen durfte, war der des Architekten Romberg. Sein Begehren war dem Vorstand der Fachversammlung schon lange zuvor bekannt. Dieser hatte sich pr=E4pariert, um das Ansinnen, zu Fachvortr=E4gen anschlie=DFend eine kritische Diskussion zuzulassen, zu verhindern. Die Versammlung lie=DF sich vom Vorstand beeinflu=DFen und lauschte unbek=FCmmert den Vortr=E4gen, ob sie gut oder schlecht waren. Der fachlichen Entwicklung wird das nicht gedient haben k=F6nnen. Ab wann sich dieser Zu- stand ver=E4nderte, w=E4re herauszufinden. Dieser Frage m=FC=DFte genauer nachgegangen werden, zumal wir uns im Jahre 1845 in einer Zeit befinden, die auf die Bege- benheit der revolution=E4ren Unruhen des Jahres 1844 folgte. Man h=E4tte annehmen d=FCrfen, da=DF sich auch in den Versammlungen der Architekten und Ingenieure viel kritischer Geist =E4u=DFern wollte. Die deutliche Mehr- heit der in Halberstadt versammelten Teilnehmer unter- band jedoch die Modernisierung des Tagungsbetriebs.

Es gab =E4sthetische H=F6hepunkte, die f=FCr die vierte Ver- sammlung deutscher Architekten und Ingenieure orga- nisiert worden waren. So hatte man eine Wanderung in das Bodetal unternommen und sich einen Nachhau- seweg nach Halberstadt in der D=E4mmerung ausgedacht:

"Der R=FCckweg wurde auf der Chauss=E9e, welche neben Blankenburg vorbeif=FChrt, unternommen. Er erhielt durch ein Feuerwerk, welches der Comit=E9 auf den Felsw=E4n- den des Regensteins veranstaltet hatte, noch eine Er- heiterung." (13)

So waren also diese Versammlung im 19.Jahrhundert organisiert. Man sollte sich damit befassen, wie sie ins Leben gerufen wurde und wie sich diese Fachtreffen weiterentwickelt haben. Unter den Teilnehmern dieser Versammlungen finden sich sehr bedeutende Namen.

K.L.

Dieser Text von Karl-Ludwig Diehl wurde in

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Diskussion gestellt. Der Autor ist =FCber folgende Emailadresse erreichbar: baugeschichte (at) email.de

Anmerkungen: (1) siehe: W.S.: Vierte Versammlung deutscher Archi- tekten und Ingenieure, gehalten in Halberstadt vom ein- undzwanzigsten bis vierundzwanzigsten August 1845. S.295-338 in: Allgemeine Bauzeitung. Wien, 1845. S.295 (2) zitiert aus: W.S., wie vor, S.295 (3) vergleiche: W.S., wie vor, S.295ff.; die Teilnehmer- liste ist am Ende des Berichtes, also von S.336-338 ab- gedruckt. (4)-(5) zitiert aus: W.S., wie vor, S.300 (6)-(8) zitiert aus: W.S., wie vor, S.301 (9)-(10) zitiert aus: W.S., wie vor, S.302 (11) zitiert aus: W.S., wie vor, S.303 (12) siehe genauer im Zusammenhang in: W.S., wie vor, S.307 (13) zitiert aus: W.S., wie vor, S.311

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