Forschung in der Biedermeierzeit: die Geschichte der Wasserleitungen
Wasser zu leiten, geht auf viele Arten und Weisen. Es wird wohl davon abh=E4ngen, zu welchem Zwecke das Wasser gelenkt wird. Geht es um Trinkwasser, das durch Leitungen gelenkt wird, mu=DF man nach den Ideen unterscheiden, also f=FCr wen das Trinkwasser bestimmt ist. Es kann f=FCr den Genu=DF von Pflanzen, Tieren und Menschen an den Ort des Konsums gebracht werden. Die Anspr=FCche an die Qualit=E4t des Wassers k=F6nnen sehr verschieden sein. Aber es geht bei Wasserleitun- gen nicht immer um Trinkwasserleitung, sondern es gibt auch Wasserleitungen, die dem Verkehr auf dem Wasser dienen oder der Energiegewinnung, die aus der Kraft des Wassers gezogen werden kann. Es kann auch der K=FChlung, usw. dienen.
Wasser wurde und wird in offenen oder geschlossenen Wasserleitungen transportiert. Es l=E4=DFt sich durch Lei- tungen pumpen, oder es flie=DFt aufgrund der Wirkung der Schwerkraft durch Leitungen abw=E4rts. Wasser l=E4=DFt sich auch pressen, um den Druck, der dann in Wasserlei- tungen vorhanden ist, auszunutzen. Auch die Kapillar- wirkung l=E4=DFt sich wirksam machen. Wasserleitungen k=F6nnen zu einem weit verzweigten Netz ausgebildet wer- den. Das Thema Wasserleitung, so wird deutlich, ist ein weites Feld.
Es d=FCrfte nicht verkehrt sein, den Begriff der Leitung ge- nauer zu diskutieren.
Die aufsteigende Feuchtigkeit, die als Dunst zur Wolken- bildung f=FChrt, die sich irgendwo abregnen, gelangt durch den Regen oder den Tau auf die Erde zur=FCck. Ein Teil davon wird durch Pflanzen im Boden festgehalten, ein anderer Teil sickert in den Boden ein oder flie=DFt weitge- hend als Oberfl=E4chenwasser ab. Es bilden sich dadurch nat=FCrliche Wasserleitungen heraus, die unterirdisch oder oberirdisch verlaufen. Das unterirdische Wasser quillt an manchen Stellen aus der Erde aus und formt zusam- men mit dem abflie=DFenden Oberfl=E4chenwasser Rinnsale, danach B=E4che und Fl=FCsse. Es kommt dabei auch zur Wasserspeicherung, die unterirdisch oder =FCber der Erd- oberfl=E4che erfolgt. In Pflanzen steigt das lebenswichtige Wasser durch Wasserleitungssysteme auf. In Tier und Mensch zirkuliert das Wasser nach Wasseraufnahme durch Essen und Trinken. Es wird auch wieder ausge- schieden.
Die nat=FCrliche Wasserleitung haben die Menschen im Verlaufe der Kulturentwicklung um eine k=FCnstliche Was- serleitung erg=E4nzt. Sie hatten die Natur als Vorbild, und sie diente zur Anregung f=FCr intelligente und gut erfundene Wasserleitungen. Es entstand eine Wasserbaukunst, welche zu kunstvollen Wasserleitungsbauten f=FChrte. Wenn Mensch und Natur als Gegensatz in der Sprache dastehen, lassen sich seine von ihm geschaffenen Was- serleitungen als k=FCnstlich bezeichnen. Sieht sich der Mensch als Teil der Natur, sind seine Wasserleitungs- bauten nat=FCrliche Wasserleitungen.
Wollte man eine "Geschichte der Wasserleitungen" ver- fassen, w=FCrde sich das Thema also sehr auff=E4chern, aber zu einer Darstellung f=FChren, die sehr interessant sein mu=DF. Solche Geschichtsschreibungen sind schon versucht worden. Sie kranken an ihrer Einseitigkeit und Unvollst=E4ndigkeit. Ein Beispiel dazu fand sich aus der Biedermeierzeit. Der Titel des Aufsatzes lautet:
"Kurzer Abri=DF der Geschichte der Wasserleitungen, mit Beif=FCgung der Abbildung einiger in Frankreich aus- gef=FChrten Brunnen neuerer Zeit" (1)
Das Motiv des Autors, der ungenannt blieb, als der Text im Jahre 1836 ver=F6ffentlicht wurde, l=E4=DFt sich rasch aufsp=FCren. Es ist ihm bewu=DFt, da=DF Wasserleitungen einen wichtigen Bestandteil der menschlichen Kulturent- wicklung darstellen, folglich mu=DF auch eine geschicht- liche Darstellung dieser Kulturleistung von Wert sein, um den =DCberblick zu behalten, denn:
"Unter allen Bed=FCrfnissen des Lebens ist wohl keines, welches zu allen Zeiten und an allen Orten so drin- gend gef=FChlt wird, als das fortw=E4hrende Dasein der zum physischen Leben unentbehrlichen Menge an fri- schem, insbesondere trinkbarem Wasser." (2)
Diese Daseinsvorsorge der unentbehrlichen Wasser- menge geschieht durch den Wasserleitungsbau:
"Es ist die=DF eine Hauptbedingung, welche bei der An- lage menschlicher Wohnorte, besonders der St=E4dte, jederzeit in Erw=E4gung gezogen wird, und wodurch die- selbe sogar gr=F6=DFtentheils motiviert worden ist." (3)
Das eigentliche Motiv f=FCr seinen geschichtlichen Ab- ri=DF ist es jedoch, seinen Aufs=E4tzen =FCber das Brun- nenwesen einen Text vorzuschalten, in der die Ge- schichte der Wasserleitungen dargestellt ist. Das "Brunnenwesen" scheint ihm kulturell sehr hoch zu stehen:
"Die zum =F6ffentlichen Gebrauche erbauten allgemei- nen Brunnen sind Gegenst=E4nde, welche einer archi- tektonischen Ausbildung nie ermangeln sollten, in- dem sie, wie jedes =F6ffentliche Bauwerk, den Ge- schmack und den Sinn f=FCr Veredlung des =F6ffentlichen Lebens nicht nur ihrer Baumeister, sondern auch de- rer, die den Bau angeregt haben, vor Augen stellt." (4)
Das Brunnenwesen mache eine eigene Wissen- schaft aus und f=FChre zu kunstvollen Bauanlagen, die ein bemerkenswertes Licht auf die gestalterischen F=E4higkeiten des Menschen werfen w=FCrden. Da es sich lohne, diese Baukunst in Aufs=E4tzen zu behandeln, m=FCsse zuvor das Wasserleitungswesen abgehandelt werden:
"Diesen Abhandlungen soll /../ ein kurzer Abri=DF der Geschichte der Wasserleitungen vorausgehen" (5)
Es wurde also deutlich, was bei dem Autor zu dem Versuch f=FChrte, einen "Abri=DF der Geschichte der Wasserleitungen" zu wagen. Nun mu=DF es darum gehen, herauszuarbeiten, auf welche Beispiele er seinen Abri=DF eingegrenzt hat und in welcher ge- schichtlichen Verkn=FCpfung er seine Beispiele ge- braucht, da ja nur so der Wert seiner Arbeit ausge- lotet werden kann. Er beginnt mit einem Rundum- schlag:
"Schon im fr=FChesten Alterthume setzten Herrscher und Nazionen ihren gr=F6=DFten Ruhm darein, dieses unentbehrliche Lebenselement den Hauptst=E4dten und wichtigeren Ortschaften ihrer L=E4nder in reichli- cherem Ma=DFe zu verschaffen, wenn auch dieses bei den damaligen Kenntnissen nur durch h=F6chst m=FChselige und kostspielige Bauten m=F6glich gemacht werden konnte." (6)
Der Satz suggeriert eine breite Kenntnis des Autors von Wasserleitungsbauten =FCberall auf der Welt. Anderseits bespricht er "m=FChselige und kostspielige Bauten", was eine Reduktion darstellen mu=DF, denn man darf sich sicher sein, da=DF es sehr einfache und viele kosteng=FCnstige Wasserleitungsanlagen gegeben hat. Die scheinen ihm aber wenig Wert gehabt zu haben, denn er breitet danach ein Wis- sen aus, das zu "Aquadukten" geht, die ihm offen- sichtlich "h=F6chst m=FChselige und kostspielige Bau- ten" sind:
"Von keiner Geb=E4udegattung des Alterthums hat man demnach so viele und gro=DFartige Reste aufzu- weisen, als von solchen Aquadukten." (7)
Ein "Aquadukt" ist aber eigentlich vom Wort her nur eine Wasserleitung. Das Wort sagt nichts dar=FCber aus, ob seine Herstellung kostenlos, kosteng=FCnstig oder kostspielig war. Was er damit meint, ist aber dies:
"Die =E4lteste der Wasserleitungen, deren die r=F6mische Geschichte gedenkt, ist die sogenannte Aqua Appia, erbaut von Appius Claudius /.../; dieser folgte die so- genannte alte Leitung des Anio, die Aqua Marcia, Aqua Tepula, Aqua Julia, und endlich die Aqua Vir- gio. /.../." (8)
Die Geschichte der Wasserleitungen ist also redu- ziert auf wenige Beispiele. Er f=FChrt Aqu=E4dukte der R=F6merzeit an, die anderen sind ihm der Darstellung nicht wert, die parallel dazu oder davor weltweit existierten. Er lobt die kunstvollen Bauten der R=F6mer und will Staunen machen ob der L=E4nge der Wasser- leitungen:
"Die totale L=E4nge dieser neun Wasserleitungen be- trug nach Frontin an 57 deutsche Meilen; drei Vier- tel dieser L=E4nge bestanden aus unterirdischen Ka- n=E4len, das =FCbrige aber aus Arkaden, welche manch- mal eine H=F6he von 17 Wiener Klaftern erreichten." (9)
Auch w=FCrdigt er die ungeheure Wassermenge, die in den Leitungen zu den Verbrauchern flo=DF, dann aber kritisiert er die R=F6mer, die solche Wasserbau- ten schufen:
"So prachtvoll und so gro=DFartig aber auch diese an- tiken Konstrukzionen sein mochten, so zeigt doch eben die Kostspieligkeit und M=FChseligkeit ihrer Er- richtung von gro=DFer Unvollkommenheit der hydrau- lischen Kenntnisse zu diesen Zeiten, und man hielt es durchaus f=FCr nothwendig, das Wasser vom er- sten Ursprunge der Leitung an mit einer Neigung best=E4ndig abw=E4rts zu f=FChren. Erst sp=E4teren Zeit war es vorbehalten, die Gesetze des Gleichgewichts und der Bewegung der Fl=FCssigkeiten besser zu ergr=FCnden, bis denn die Gelehrten neuerer Zeiten, wie Galilei, welcher die Schwere der Luft entdeckte; Torricelli, der, auf diese Erfindung gest=FCtzt, die Lehre von den Pumpen und vom Barometer begr=FCn- dete; Stevin, der das Gesetz des hydrostatischen Gleichgewichts ersann; Pascal, der diese Grund- s=E4tze auf die Bewegung der Fl=FCssigkeiten =FCbertrug; Mariotte, der die Zusammenziehung des Strahls beim Ausflu=DF aus Oeffnungen entdeckte, diese Gesetze immer mehr vervollkommneten. Auch bis auf unsere Zeit hat man sich mit diesem Gegen- stande besch=E4ftigt; wir nennen nur Dubuat, Cou- lomb, Girard, und in neuesten Zeiten Prony." (10)
Dieser Textabschnitt wurde deshalb exzerpiert, um deutlich zu machen, welche Hinweise der Autor streut, um seinem kurzen "Abri=DF der Geschichte der Wasserleitungen" mehr Inhalt zu geben. Er trug einiges zusammen, um ein Assoziationsfeld zu schaffen. Es sind Beispiele, die einige Hinwei- se geben, welche aber viel zu wenig aussagen wollen. Sie verweisen undeutlich auf eine wissen- schaftliche Forschungsentwicklung, die den Was- serleitungsbau voranbrachte. Global gesehen, sind es nur sehr einseitig ausgesuchte Beispiele. Sie wurden rasch abgehandelt und danach durch Beispiele kunstvoller Einrichtungen erg=E4nzt, die denen aus der Antike folgen. Im franz=F6sischen Mit- telalter schuf man ausgedehnte Wasserleitungen zur Zeit der Herrschaft von Philipp August, um Paris mit Wasser zu versorgen. Das geschah seit 1180 bis 1223. Unter Heinrich IV. schuf man eine "erste hydraulische Maschine", um Wasser aus der Seine in eine Wasserleitung zu heben. Im Jahre 1670, so der Autor, habe man "das Pumpwerk von Notre- Dame" gebaut. Versailles sei unter Ludwig XIV. mit Wasserbaukunst hohen Niveaus ausgestattet wor- den. Ein Literaturhinweis wird dazu genannt, eines Werkes, das in Paris 1829 erschien. Es ist anzu- nehmen, da=DF diesem Werke wesentliche Ge- schichtskenntnisse des Wasserbaus entsprangen, die der Autor anf=FChrt. Neben franz=F6sischen Bei- spielen werden excellente Wasserbauten der Neu- zeit in Italien angef=FChrt. Sie d=FCrften weitgehend zeitgleich mit den franz=F6sischen Beispielen ausge- f=FChrt worden sein. Auch deutsche und =F6sterreichi- sche Wasserbauk=FCnste sind angef=FChrt, die wohl alle "Gerstner's Mechanik" entnommen sind, die der Autor nennt. Man gelangt zusammen mit diesen Beispielen in eine Zeit, als bereits Dampfmaschinen zur Hebung und zur Verteilung des Wassers in Wasserleitungen eingesetzt wurden. Das wird ex- plizit durch diesen Textabschnitt deutlich:
"In London, Glasgow, Edimburgh, Philadelphia be- stehen ganze Systeme von Wasserleitungen, welche sich alle der Dampfmaschinen, die das Heben des Wassers mit gro=DFer Sicherheit, Leichtigkeit und ohne viele Kosten verrichten, bedienen." (11)
Zu Beginn des 19.Jahrhunderts entfaltete sich also eine moderne Wasserbautechnik mit einem Was- serleitungswesen, bei dem der Einsatz der Dampf- maschinen einen wichtigen Stellenwert einnahm. Die Wirkung der Dampfkraft erzwang zugleich Was- serleitungen ganz anderer Haltbarkeit, wenn Was- ser durch Rohre geleitet wurde. Dazu wird jedoch so gut wie nichts in dem "Abri=DF der Geschichte der Wasserleitungen" ausgef=FChrt. Man kann es nur er- ahnen, da=DF es stattgefunden haben mu=DF.
Der Abri=DF ist also h=F6chst unvollst=E4ndig und ver- liert sich in Andeutungen. Umso wichtiger wird es sein, das Thema zu verfolgen, um zu einer breit ausgebauten Geschichte der Wasserleitungen zu gelangen. Man darf annehmen, da=DF es dazu nicht an Abhandlungen mangelt. Es wird also notwendig sein, den Wert dieser Abhandlungen zu untersu- chen, den sie f=FCr eine Darstellung der globalen Ent- wicklung des Wasserleitungsbaus haben. Dieser kleine Text aus der Biedermeierzeit kann demnach f=FCr einen Einstieg in das Thema als sehr n=FCtzlich angesehen werden. Denn er deutet Forschungsfel- der an, in denen weitergesucht werden kann. Man kann sich sicher sein, durch ihre Auswertung auf viele weitere Forschungsfelder zu sto=DFen, welche weiteres Material bieten, um eine Geschichte der Wasserleitungen erg=E4nzen und ausbauen zu k=F6nnen.
K.L.
Dieser Text von Karl-Ludwig Diehl wurde in
Anmerkungen: (1) o.A.: Kurzer Abri=DF der Geschichte der Wasserlei- tungen, mit Beif=FCgung der Abbildung einiger in Frank- reich ausgef=FChrten Brunnen neuerer Zeit. S.435-438 in: Allgemeine Bauzeitung. Wien, 1836 (2)-(7) zitiert aus: o.A., wie vor, S.435 (8) zitiert aus: o.A., wie vor, S.435f. (9)-(10) zitiert aus: o.A., wie vor, S.436 (11) zitiert aus: o.A., wie vor, S.437