Hallo,
Ich kenne auch solche Behauptungen. Der Irrtum kommt wahrscheinlich daher, daß diese "Fachleute" nicht gleichzeitig an alle drei Variablen aus der Formel U=R*I denken können. Ferner wird der maximal mögliche Kurzschlußstrom mit dem Strom verwechselt, der durch den menschlichen Körper bei einer bestimmten Spannung fließen würde.
Zur Verdeutlichung:
Fallbeispiel: Ein Elektriker wurde mit Blaulicht ins Krankenhaus gefahren, nachdem er bei Arbeiten an einer Telephonanlagen- Notstrombatterie deren Anschlußklemmen kurzgeschlossen hat. Die Batteriespannung war 36 Volt. Maximaler Kurzschlußstrom der Batterien so etwa 150 Ampere. Natürlich ist der Mann nicht im Krankenhaus gelandet, weil 150A durch sein Herz geflossen sind. Auch nicht durch seine Hände. Ist ja auch klar, denn der Körper hat einen Widerstand von c.a. 30...100 kOhm und da fließt bei 36V nicht einmal ein volles mA. Gefährlich wären 40mA. Der Kurzschlußstrom von 150A ist um den Finger des Elektrikers herumgeflossen, nämlich durch den Ring an seiner Hand mit dem er versehentlich die Klemmen überbrückt hat. Der Ring hat hatte den 36 Volt nur ein paar Miliohm entgegenzusetzen worauf er durch den hohen Kurzschlußstrom geschmolzen ist und dem Pechvogel schwere Verbrennungen beschert hat. Solche Unfälle (mit Armbändern, metallenen Kugelschreibern, Uhren, Werkzeugen etc. die auf die Polklemmen fallen) sprechen sich herum, werden den Lehrlingen erzählt, und es bleibt nur noch die Urangst "alles was hohe Ströme liefert ist gefährlich" übrig, weil die Zusammenhänge nicht miterzählt werden.
Alltagsbeispiel: Bei Herumgehen auf bestimmten Teppichböden lädt sich der Körper elektrostatisch auf und man verspürt einen unangenehmen Schlag wenn man einen geerdeten Gegenstand berührt. Die entstehende Spannung kann ohne Weiteres 25000 Volt erreichen. Trotzdem ist es ungefährlich, während das Berühren einer normalen 220V Leitung tödlich sein kann. Wieso? Weil die 25000 Volt nur bestehen bleiben, solange man auf dem gut isolierenden Kunststoffboden steht. Sie brechen innerhalb einer Milisekunde zusammen, sobald man einen leitenden Gegenstand berührt. Der Entladestrom ist wohl mehr als 40mA, aber er ist von so kurzer Dauer, daß er nicht schaden kann. Der menschliche körper ist gegenüber der Erde ein kleiner Kondensator mit einer niedrigen elektrischen Kapazität von etwa 10 ... 100 pF . Diese "Kapazität" kann nur eine geringe Ladungsmenge aufnehmen, daher bleiben die 25000 V auch nicht lange bestehen, wenn sie durch einen Widerstand belastet werden. Anders die 220V Steckdose. Deren Spannung bricht nicht zusammen, wenn sie mit einem Widerstand im KOhm-Bereich belastet wird.
Noch eins: Es gibt sogenannte "Tesla-Transformatoren". Das sind Versuchsanordnungen, mit denen eine Hochfrequenz-Wechselspannung von
30000 Volt erzeugt wird. Damit kann der Experimentator eindrucksvolle Demonstrationen am eigenen Körper vollführen. Er kann die Hand der Elektrode nähern bis es zwischen seinen Fingern und der Elektrode blitzt. Wieso? Weil die hochfrequenten Ströme eher an der Körperoberfläche fließen als im Inneren durchs Herz und die hohe Frequenz nicht im Erregungsbereich der Nervensynapsen liegt. Der Strom hat auf den Körper nur eine Wärmewirkung, aber die ist gering, da die Stromstärke gerade mal ein mA ist. Der Strom ist technisch durch die Hofrequenzschaltung begrenzt, nicht durch den Widerstand des menschlichen Körpers. Die eindrucksvollen Blitze kommen zusatnde, weil die Luft einen größeren Widerstand hat als der Mensch, daher fällt der größte Teil der Spannung in der Luft ab. Wenn man das mit einer 15000 Volt Bahnoberleitung versucht, bekommt man Probleme mit den 16.66 Hz, die für die Herzmuskeln bis zur Erschöpfung anregend sind. Die technisch bedingte Strombegrenzung liegt hier bei vielen hundert A und nicht bei ein paar mA wie beim Teslatrafo. Man kann sich auch nicht auf den hohen Widerstand der Luft verlassen. Wird eine bestimmte Stromstärke überschritten, dann gibt es eine Stoßionisation mit anschließender Lavinenentladung wobei der Widerstand des entstehenden Lichtbogens geringer wird als der des menschlichen Körpers.
Wie man sieht, kann man nicht pauschal sagen eine bestimmte Spannung sei gefährlich oder ein bestimmter Strom. Es kommt immer darauf an welche Möglichkeiten bestehen, daß das Produkt Spannung*Strom groß wird. Immer wenn es groß werden kann, dann wird es gefährlich.
Gruß Horst