Betonforschung im Zeitalter des Historismus: der agglomerierte Beton des Civilingenieurs Coignet

Betonforschung im Zeitalter des Historismus: der agglomerierte Beton des Civilingenieurs Coignet

Um Steine giessen oder monolithische Bauten aufzuf=FChren zu k=F6nnen, entwickelte "der Civilingenieur und Manufactu- rist" Coignet den "agglomerirten Beton". Der Herstellungs- proze=DF wird so erkl=E4rt:

"Den agglomerirten Beton /.../ erzeugt man als eine sehr feste plastische Masse oder als teigartiges Pulver, das man in d=FCnnen Schichten in h=F6lzerne Formen gie=DFt und es durch St=F6=DFe von einem harten und schweren K=F6rper einem kr=E4ftigen Drucke aussetzt." (1)

In dieser Form, die sp=E4ter weggenommen wird, verbleibt diese gesto=DFene Masse einige Zeit:

"Nach Verlauf einer gewissen Zeit, je nach der Temperatur von einem bis zu drei Tagen, hat die Masse die Festigkeit des Steins angenommen und ist im Stande allen Witte- rungseinfl=FCssen Trotz zu bieten." (2)

Dann l=E4=DFt sich die Form entfernen. Der erhaltene Beton war von einer Festigkeit, "welche viel gr=F6=DFer ist als bei den gew=F6hnlichen Betons", wird in einem Aufsatz vom Jahre

1865 gesagt. Man hatte dies bei "officiellen Versuchen", die im "Pariser Conservatoire des Arts e Metiers" gemacht worden waren, festgestellt. Wie hatte man diese erreicht? Coignet ging so vor:

"Diese Widerstandsf=E4higkeit, welche viel gr=F6=DFer ist als bei den gew=F6hnlichen Betons, hat ihre Ursache in den eigen- th=FCmlichen Fabricationsweisen, bei denen die Verh=E4ltnis- se des Wasser und des Kalks /.../ wesentlich reducirt wer- den." (3)

=DCblich war zu der Zeit, als Coignet seine Betonforschung betrieb, da=DF bei der Herstellung des Betons

"eine viel gr=F6=DFere Wassermenge verwendet wird als zur S=E4ttigung des Kalkes wirklich nothwendig w=E4re, und da die- se gr=F6=DFere Wassermenge von dem letztern nicht absorbirt werden kann, so setzt sie sich zwischen die Molec=FCle des Betons, macht ihn unpre=DFbar und veranla=DFt durch ihre Verdunstung leere R=E4ume, die sich bei Regeng=FCssen an- f=FCllen und nach und nach die Trennung der Bestandtheile der Masse verursachen." (4)

Coignet hatte zur Herstellung seines Betons Sand, Kalk und Wasser in einem solchen Verh=E4ltnis vermischt, bis der Wasser- und Kalkanteil so weit verringert war, da=DF ein optimaler Zustand der Mischung eintrat, die nach dem Abbinden des Betons in der festgewordenen Masse keine kleinen Hohlr=E4ume und auch keine Schwindungsrisse zeig- te. Coignet gab keinen Kies in seine Betonmischung. Durch sein Reduktionsverfahren, mit dem er ausprobierte, ab welcher verringerten Menge von Kalk und Wasser eine optimierte Verbindung der Sandk=F6rner eintrat, stie=DF er auf das Ph=E4nomen, da=DF die Haltbarkeit des Betons immer weiter anstieg. Im Aufsatz ist das so ausformuliert:

"Bei der Verfertigung seines Betons strebt Coignet dahin, der Mischung gerade nur so viel Wasser mitzutheilen als zur Krystallisation des Kalkes nothwendig ist; auch wird von dem letztern genau nur diejenige Quantit=E4t genommen, welche man zur Ausf=FCllung der Zwischenr=E4ume des San- des gebraucht." (5)

Das Ergebnis war die zuvor schon angef=FChrte h=F6here Fe- stigkeit der abgebundenen Betonmasse. Als man sich in Wien mit dem Verfahren des Herrn Coignet auseinander- setzte, erfuhr man au=DFerdem, da=DF nicht nur weniger Kalk und Wasser im Verh=E4ltnis zur Sandmenge zu nehmen ist, sondern nicht unbedingt ein hochwertiger Sand zur Verwendung zu bringen ist, um brauchbaren Beton zu er- halten. Das verbl=FCffte noch mehr und forderte zur Kritik heraus. Man erging sich in Spitzfindigkeiten, um nachzu- weisen, da=DF das Verfahren des Herrn Coignet nicht funk- tionieren kann:

"Wenn nun angenommen wird, da=DF der Mangel hinreichen- der Festigkeit des Betons von zu vielem Kalk oder zu vie- lem Wasser entsteht, so kann man bis zu einem gewis- sen Grade den zu gro=DFen Antheil an Kalk vermeiden, was aber mit dem Wasser weniger der Fall sein w=FCrde, das sich in dem verwendeten Kalk und Sand unumg=E4nglich be- finden mu=DF. Obgleich thats=E4chlich schon eine wesentliche Verminderung dieses Ueberschusses durch die Reduction der zu den Coignet'schen Betons erforderlichen Kalkmen- ge im Vergleich zu der gew=F6hnlich angewendeten entste- hen mu=DF, so mu=DF man doch immer auf die gr=F6=DFere Was- sermenge rechnen, welche einestheils die Folge von der Nothwendigkeit des zweckm=E4=DFigen L=F6schens des verwen- deten Kalkes selbst, und anderntheils der materiellen Un- m=F6glichkeit ist, den zur Composition des Betons erforder- lichen Sand in vollkommen trocknem Zustande zu erhal- ten." (6)

=DCbersehen wird bei diesen S=E4tzen, da=DF Coignet sein Ver- fahren mit Erfolg anwendete. Die Kritik sagt andererseits, es war bereits im gel=F6schten Kalk und im Sand eine Was- sermenge vorhanden, die aber schwer zu ermessen war. Folglich konnte nicht so genau abzusehen sein, wieviel Wasser der Kalk-Sandmischung nur noch zugesetzt wer- den durfte. Genau mit diesem Problem schlug sich Coi- gnet anfangs herum.

"Da es also streng genommen nicht m=F6glich ist, da=DF sich kein =FCberfl=FCssiges Wasser vorfindet, so handelte es sich darum, die Wirkungen dieses Ueberschusses, so klein er auch sein m=F6ge, zu neutralisiren." (7)

Aber wie hatte er das Neutralisieren erreichen k=F6nnen? Coignet versuchte es so:

"Um dies ausf=FChren zu k=F6nnen, nahm Coignet anf=E4nglich zu seinen Betons puzzolanartige Stoffe, wie gestampfte gebrannte Erde, Ziegelmehl, Asche von Steinkohlen, Torf, Schiefer, nat=FCrliche Puzzolane." (8)

Mit ihnen wollte er Wasser absorbieren. Aber die Wirkung auf den Beton war die, da=DF er als abgebundene Masse weniger fest war:

"Da er aber bei diesen Materialien absolut keinen andern Zweck hatte als dadurch das Wasser zu absorbiren, das sowohl im Kalk wie im Sande in Ueberflu=DF vorhanden sein k=F6nnte, so ist er der Ansicht, deren Anwendung nach der Menge der zu absorbirenden Feuchtigkeit zu regeln; er behauptet sogar, da=DF bei gleicher Zubereitung die schlie=DF- liche H=E4rte des Betons um so geringer sein wird als man einen gr=F6=DFern Antheil von Puzzolane dazu gethan hat, denn wenn die Puzzolane pulverisirt und zerfallen ist, so absorbirt sie viel Kalk als reinen Verlust und gew=E4hrt ihm bei seiner Krystallisation nicht den festen St=FCtzpunkt als der Sand." (9)

Coignet =E4nderte dann seine Vorgehensweise und ersetzte Puzzolane durch Cemente:

"Da die Puzzolane blo=DF als absorbirendes Mittel wirkt, so ist es nach Coignet r=E4thlich, sie durch Cemente zu erset- zen, wenn mit dieser Wirkung noch die einer kr=E4ftigeren Krystallisation des verwendeten Kalkes verbunden werden soll." (10)

Auch experimentierte Coignet mit der Beigabe von Kies, war damit aber ganz und garnicht zufrieden,

"denn w=E4hrend des Stampfens der aufeinander folgenden Schichten w=FCrde der Sto=DF nur auf den Kiesel wirken, w=E4h- rend die Bindemasse demselben beinahe vollst=E4ndig ent- geht und keine Agglomeration derselben stattfinden w=FCr- de." (11)

Coignet meinte also, guter agglomerierter Beton m=FCsse nur aus kleinen Baustoffen bestehen, die eng gepackt durch Kalk verbunden sind. Wenn Kiesel zugesetzt w=FCr- den, werde gemeint, dann sei Beton billiger. Er erreiche preiswerten Beton jedoch schon durch die Reduktion des teuren Kalkanteiles. Sein agglomerierte Beton sei au=DFer- dem fester als der =FCbliche Beton:

"So vortheilhaft und selbst nothwendig auch die Anwen- dung von Kieseln und kleinen Steinen zur Anfertigung des gew=F6hnlichen Betons ist, so nachtheilig w=FCrde sie f=FCr die agglomerirten Betons sein. Wenn es in Bezug auf die Quantit=E4t des Kalkes, welche zu den erstern genommen werden mu=DF, sowohl =F6konomisch als n=FCtzlich ist, sie durch Hinzuthun von Kieseln zu vermehren und gleichzei- tig das Schwinden zu vermindern, so findet beim agglome- rirten Beton diese =F6konomische R=FCcksicht nicht statt, denn die Kiesel kosten eben so viel als der Teig des Be- tons, in dessen Volum sich nur ein Zehntheil Kalk befin- det, wie es bei den agglomerirten Betons am h=E4ufigsten der Fall ist. Auf der andern Seite w=FCrde es in Bezug auf die Festigkeit von gro=DFem Nachtheil sein, wenn man zu diesem Beton Kiesel verwenden wollte, denn w=E4hrend des Stampfens der aufeinander folgenden Schichten w=FCrde der Sto=DF nur auf den Kiesel wirken, w=E4hrend die Bindekraft demselben beinahe vollst=E4ndig entgeht und keine Agglome- ration derselben stattfinden w=FCrde. Um eine vollkommene Agglomeration hervorzubringen, ist es daher unumg=E4nglich nothwendig, da=DF die zu agglomerirende Betonmasse aus kleinen Materialien von beinahe gleicher Gr=F6=DFe und Regel- m=E4=DFigkeit besteht." (12)

Coignet legte bei seinem Betonierverfahren wert auf Sand, nahm keinen Kies. Er lie=DF eine Mischung aus Sand, Kalk und Wasser in Formen stampfen, um sie optimal zu mi- schen. Den Wasser- und Kalkanteil reduzierte er erheb- lich. Das Stampfen geschah so:

"Das Zersto=DFen dieses Betons wird in zwei Operationen bewirkt; bei der ersten sch=FCttet man allen Kalk, alle Puz- zolane und blo=DF einen oder zwei Theile Sand, damit be- tr=E4chtlich mehr Kalk als Sand vorhanden sei, in den Ap- parat und befeuchtet vollst=E4ndig; bei der zweiten Opera- tion mischt man den durch die erste Zerreibung erhalte- nen M=F6rtel mit dem Rest des Sandes. Nach dem zweiten Zersto=DFen wird der M=F6rtel in die Form gebracht und in zwei Centimeter dicken Schichten darin ausgebreitet; je- de Schicht wird kr=E4ftig und so lange gestampft, bis die Masse unter dem Druck der Stampfe klingend geworden ist." (13)

Nach einer gewissen Zeit kann die Form entfernt werden und ein fester Beton ist vorhanden. Werden keine Beton- steine ausgef=FChrt, sondern Mauern aus einem Gu=DF, so wird der Vorgang so beschrieben:

"Die Bindekraft der Materialien dieses Betons ist sehr intensiv und so bedeutend, da=DF man im Freien =FCber je- dem am vorhergehenden Tage geformten Theil jeden Tag eine Mauer von einem Meter H=F6he auff=FChren kann." (14)

Das l=E4=DFt ungef=E4hr erahnen, mit welcher Geschwindigkeit Coignet arbeiten lie=DF.

"In diesem Falle schlie=DFt sich die Arbeit des heutigen Tages an die vom gestrigen Tage an, und ist das Werk vollendet, so besitzt es die homogene Eigenschaft eines Monolithen." (15)

Coignet f=FChrte sehr viele Bauvorhaben aus und bekam Auf- tr=E4ge f=FCr

"Trottoirs, Stra=DFenkan=E4le, Wasserleitungen, Abtrittsgru- ben, Cisternen, Bassins und Reservoirs, die Gruben der Gasometer, trockne Wohnungen und Keller, Gew=F6lbe, Fu=DFb=F6den und D=E4cher, Br=FCcken, D=E4mme, Kai's und Fut- termauern, Grundmauern von Maschinen, Docks und Silo's u.s.f." (16)

Deutlich vor den Gu=DFbetonh=E4usern in Oberschwaben, die bereits behandelt wurden (17), entstanden durch Coignet Gu=DFbetonh=E4user aus agglomeriertem Beton, also ohne Beigabe von Kies:

"Coignet hat nach seiner Methode Wohnh=E4user erbaut, de- ren Fundamente, Mauern, Fu=DFb=F6den und Decken von Be- ton hergestellt wurden; in neuester Zeit hat er sogar den Bau der Kirche von Vesinet aus Beton unter der Leitung des Architekten Boileau =FCbernommen." (18)

Das sind deutliche Hinweise, wie Coignet arbeitete und was er alles damit ausf=FChren durfte. Das Bauvolumen der aus agglomeriertem Beton hergestellten Bauten ist be- achtlich. Es w=E4re gut, eine genauere baugeschichtliche Un- tersuchung zu den Bauten von Coignet durchf=FChren zu k=F6n- nen, um das Gesamtwerk besser zu verstehen.

K.L.

Dieser Text von Karl-Ludwig Diehl wurde in

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Diskussion gestellt. Der Autor ist =FCber folgende Emailadresse erreichbar: baugeschichte (at) email.de

Anmerkungen: (1) zitiert aus: o.A.: Der agglomerirte Beton nach dem Verfahren des Hrn.Coignet in Paris. S.1-4 in: Allgemeine Bauzeitung. Wien, 1865. S.1 (2) zitiert aus: o.A., wie vor, S.1f. (3)-(8) zitiert aus: o.A., wie vor, S.2 (9) zitiert aus: o.A., wie vor, S.2f. (10)-(15) zitiert aus: o.A., wie vor, S.3 (16) zitiert aus: o.A., wie vor, S.3f. (17) siehe: Karl-Ludwig Diehl: Das Deutsche Gew=F6lbe- museum recherchiert: ganz aus Beton gegossene Wohn- h=E4user im w=FCrttembergischen Oberschwaben aus der Zeit des Historismus. Eingestellt am 16.Juli 2008 in:

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zitiert aus: o.A.: Der agglomerirte Beton nach dem Verfahren des Hrn.Coignet in Paris. S.1-4 in: Allgemeine Bauzeitung. Wien, 1865. S.4

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Karl-Ludwig Diehl
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Gerade fand sich dieser Hinweis zum "systeme Coignet":

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MfG K.L.

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Karl-Ludwig Diehl

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