Das Deutsche Gew=F6lbemuseum recherchiert: ganz aus Beton gegossene Wohnh=E4user im w=FCrttembergischen Oberschwaben aus der Zeit des Historismus
In Gegenden, in denen Mangel an Natursteinen herrschte, wurde =FCber Bauweisen nachgedacht, f=FCr die kein Natur- stein zu nehmen war. Dazu wurde im Jahre 1870 geschrie- ben:
"In Norddeutschland und Frankreich wurde fr=FCher der Erd- Pis=E9-Bau; in Schweden, Pommern und in den preussi- schen Marken der Kalk-Pis=E9-Bau in =E4hnlichen F=E4llen ein- gef=FChrt." (1)
Diese Bauweisen dienten dazu, kosteng=FCnstige Bauten zu errichten. Im w=FCrttembergischen Oberschwaben gab es Gegenden, "die arm an nat=FCrlichen Bausteinen sind". Es wird von J.Schlierholz dazu gesagt:
"Solche Verh=E4ltnisse weisen in den meisten F=E4llen auf k=FCnstliche Baumaterialien hin, unter denen bis jetzt die ge- brannten Steine vorzugsweise f=FCr Wohngeb=E4ude und W=F6l- bungen ihre Anwendung finden. Letztere Steine k=F6nnen jedoch nicht immer in guter Qualit=E4t und in der n=F6thigen Quantit=E4t, insbesondere bei den kurzen Bauperioden f=FCr Eisenbahnbauten, beschafft werden, und war es daher w=E4hrend der j=FCngsten Bahnbauten in Oberschwaben ange- zeigt, eine andere Bauweise zu versuchen." (2)
Mit diesen Worten begr=FCndete Schlierholz die aus Beton gegossenen Wohnh=E4user f=FCr Bahnbedienstete in Ober- schwaben, die entlang der Bahnlinie der "W=FCrttemb.All- g=E4u- u. Donau-Bahn" entstanden. Es handelt sich um Bau- versuche, die f=FCr die Geschichte des Betonbaus sicherlich nicht ohne Bedeutung sind. Man nahm Beton zun=E4chst nur, um Fundamente zu giessen. Dann weitete man den Betonbau auf den Hochbau aus. Es entstanden mit der Zeit Versuchsbauten. An diese Vorbilder kn=FCpfte Schlier- holz an:
"Wenn nun auch die /.../ Bauweise an und f=FCr sich durch- aus nichts Neues ist, indem seit Decennien schon bei Land- und Wasserbauten eine Reihe von Betonbauten mit Erfolg und in kurzer Zeit ausgef=FChrt wurden, wie z.B. in England und Frankreich vorzugsweise Wohnungen f=FCr Offi- ziere und Soldaten, Pferdest=E4lle, Schulh=E4user und derglei- chen, so geschah dies doch nur mit geringer Ausnahme ohne Bedachung aus Beton, und mit dieser nur in einigen F=E4llen mit Erfolg, wie z.B. von Aug.Lebrun zu Massac in der N=E4he von Albi an einem Wohngeb=E4ude; von Kreisbau- rath Ruland in M=FCnchen an einem im Jahr 1858/59 ausge- f=FChrten W=E4rterh=E4uschen an der Isar daselbst; an einem Geb=E4ude der Maschinenfabrik von Haenkel & Komp. in Kassel, an verschiedenen kleinen Zierbauten von Landbau- meister Becker in Berlin; dazu w=E4re noch zu rechnen ein Modell von einem vollst=E4ndigen Betonh=E4uschen auf der j=FCngsten Pariser Ausstellung, von Coignet." (3)
Diese Hinweise sind =E4u=DFerst wichtig, da sie auf Hochbau- ten aus gegossenem Beton verweisen, die zuvor entstan- den waren. Nur ganz wenige Bauten erhielten auch eine =DCberdachung aus Beton. Wo dies geschah, ist an Beton- gew=F6lbebau zu denken. Man mu=DF den einzelnen Hinwei- sen sehr genau nachgehen.
Schlierholz, der in Oberschwaben zu bauen hatte, begr=FCn- dete seine Betonbauten auch damit, da=DF Kies und Sand in der Region reichlich vorhanden waren und sich im Um- kreis zu den vorgesehenen Baustellen Zementfabriken be- fanden:
Es "musste /.../ die Aufmerksamkeit auf die schnell bin- denden und erh=E4rtenden Cemente hingelenkt werden, zu denen an vielen Stellen der Diluvialbildung Oberschwa- bens sowohl Sand als Kies von bester Beschaffenheit reichlich gewonnen werden kann." (4)
Um sich Zement zu besorgen, kamen diese Zementfabri- ken in Betracht, die:
"Roman-Cement-Fabriken von Gebr=FCder Leube, Schwenk von Ulm, Siegloch zu Blaubeuren, Pr=E4g zu Eh- nigen, denen sich in anderen Landestheilen ebeneb=FCrtig die von Chailly, Herrmann in Kirchheim u. Teck, Jakob Rilling in Dusslingen O/A. T=FCbingen, Burkhard in Hausen bei Burladingen, von Anton G=E4ng in Waizen bei Engen, sowie die Portland-Cementfabriken von Dyckerhoff & S=F6h- ne. Espenschied zu Mannheim, von der Bergwerks- und H=FCttenwerksgesellschaft zu Bonn, von Lothary zu Mainz, als im Auslande zun=E4chst liegend, anreihen." (5)
Schlierholz meinte, wo solche Erreichbarkeiten von Sand, Kies und Zement vorliegen, kann "Beton dort (und wo im- mer Gleiches der Fall ist) als ein provinzielles Baumateri- al bezeichnet werden". Er entschied sich also, da er "mit der Oberleitung der oberschw=E4bischen Bahnbauten be- traut" war, zu Bauversuchen mit Beton, um Erfahrungen
"hiemit bei ganzen Geb=E4uden, zun=E4chst bei Errichtung von Bahnwarth=E4uschen machen zu sollen und zwar im Hinblick auf die nach Jahrtausenden auf uns gekomme- nen r=F6mischen Bauwerke mit ihren unverw=FCstlichen Guss- mauerwerken und Gew=F6lben, nicht nur mit der Erstellung einzelner Mauern, sondern der ganzen Umh=FCllung vom Fundamente an bis zur Dachspitze inclus. der Souter- raine, Gew=F6lbe und der Bedachung, der Kellertritte, der Fussb=F6den etc., so dass hieran in allen Haupttheilen kei- nerlei Holz- oder anderes Material zur Verwendung kom- men soll; es schwebte mir dabei vor, dass im Verfolge diese Bauweise durch Betonausf=FCllung zwischen eisernen Balken f=FCr die Horizontal-Abtheilungen der Stockwerke, f=FCr Treppen und dergleichen noch weiter vervollst=E4ndigt werden k=F6nnte." (6)
Um seine Idee bei der "k=F6nigl.Eisenbahnverwaltung" durch- zusetzen, verwies er auf die Vorteile der Betonbauweise. Es k=F6nne "in den meisten F=E4llen" mit einer "verh=E4ltniss- m=E4ssig billigen Ausf=FChrung" gerechnet werden. Man er- halte stabile und feuersichere Bauten mit gutem Schutz "gegen die Einfl=FCsse der Witterung", und d=FCrfe mit "der Ersparniss f=FCr Unterhaltung nebst /.../ der Steigerung in der Produktion und reicheren Absatzes unserer Cemente" rechnen. Am 27.April 1867 kam vom "k=F6nigl.Ministerium der ausw=E4rtigen Angelegenheiten, Abtheilung f=FCr Verkehrs- anstalten" der Beschlu=DF:
"Es sollen zun=E4chst 3 Probeh=E4uschen nach dem anlie- genden Entwurfe an der Bahn zwischen Ulm und Blau- beuren ausgef=FChrt werden, und zwar: sollte bei s=E4mmtli- chen 3 H=E4uschen Alles unter dem Terrain und im Innern Befindliche und nach Aussen Sichtbare a) an einem derselben aus Roman-Cement, b) am 2. aus einem Gemisch von 75% Roman- und 25% Portland-Cement c) am 3. vollst=E4ndig aus Portland-Cement bestehen." (7)
Man hat also drei Versuchsbauten errichtet, bei denen unterschiedlich vorgegangen wurde. Nur eines bestand vollst=E4ndig aus einem Beton, dem das Bindemittel "Port- land-Cement" beigegeben war. Damit auch kein Mi=DFver- st=E4ndnis aufkam, formulierte Schlierholz ausdr=FCcklich:
"Diese Geb=E4ude sollten nicht etwa aus einzelnen Beton- quadern, mit Cementm=F6rtel verbunden, zusammengef=FCgt, sondern in K=E4sten und Formen gleich wie beim Pis=E9- Bau und die Gew=F6lbe =FCber Einschalung in niederen 5 bis
8'' starken Schichten nach und nach als aus einem Gus- se bestehend erstellt werden." (8)Zu den Mauerwerksw=E4nden wird gesagt:
"Die Umfassungsw=E4nde des unteren Stockes 12" stark, am Beginn des Dachgew=F6lbes 1' starkt und das Dachge- w=F6lbe an der schw=E4chsten Stelle stark". (9)
Das Dachgew=F6lbe, da, wo es ausgef=FChrt wurde, ist
"gegen Innen nach einem Spitzbogen geformt, nach Aus- sen abgedacht, und zwar so, dass die obere Gew=F6lbe- h=E4lfte ganz, die =E4usserste Decke der unteren H=E4lfte
1 1/2" stark aus Portland-Cement hergestellt werden." (10)Auch die Gew=F6lbe =FCber dem Untergescho=DF sind ange- f=FChrt:
"Die St=E4rke der Souterraingew=F6lbe betr=E4gt am Scheitel
8''." (11)Es gab vor dem Bau ganz bestimmte =C4ngste, da keine Er- fahrung mit Bauten bestand, die ganz aus Beton gegos- sen wurden. Man hatte zum Beispiel Angst, der gegosse- ne Beton werde entweder schwinden oder eine Volumen- vergr=F6=DFerung annehmen. In beiden F=E4llen wurden Risse bef=FCrchtet. Man wu=DFte auch nicht, wie sich Trockenheit, N=E4sse, Sonnenhitze und K=E4lte auf den Aush=E4rtungsvor- gang des Betons auswirken werden. War der Beton ab- gebunden, wu=DFte man nicht, wie sich das Mauerwerk ver- hielt, da zur W=E4rmeleitung des Betons keine Erfahrungen bestanden. Die Bef=FCrchtung ging dahin, da=DF bei gro=DFer K=E4lte im Inneren der Bauten ein "N=E4ssen oder Schwitzen der W=E4nde" auftreten k=F6nnte. Nicht zuletzt hatte man Angst, da=DF die vorbeifahrenden Z=FCge so gro=DFe Ersch=FCt- terungen verursachen, da=DF w=E4hrend des Abbindevor- gangs des Betons oder danach Risse im Beton eintreten werden. Alle diese Bef=FCrchtungen traten jedoch nicht ein. Man machte nur positive Erfahrungen und war sehr zufrie- den mit diesen Versuchsbauten. Es empfiehlt sich, die dazu gegebenen Einzelheiten im Aufsatz vom Jahre 1870 genauer nachzulesen. (12) Zur Bauzeit wird gesagt:
"Die Erstellung eines solchen Geb=E4udes kann im Mittel bei dem Vorhandensein der n=F6thigen Formen, Ger=FCstma- terialien und erfahrener Arbeiter in ca. 3 1/2 bis 4 Wochen geschehen." (13)
Die zum Gu=DF des Betons verwendeten Schalungen sind so beschrieben:
"Die Formen waren, wie beim Pis=E9bau =FCblich, von Holz mit Schraubenverbindung konstruirt (bei einem der H=E4us- chen von Eisenblech an eisernen senkrechten Leitstangen verschieb- und stellbar). Die Licht=F6ffnungen waren den Leibungsformen entsprechend gefasst." (14)
Zum Gu=DFvorgang selbst wird ausformuliert:
"Der Beton wurde in Schichten von ca. 6 (bis) 8 Zoll H=F6he, die einzelnen Strecken mit abgeschr=E4gten Fugen einge- bracht und festgestampft, oder gedr=FCckt (und wenn sie zu stark angezogen hatten, vor dem Aufbringen einer weite- ren Schichte aufgesch=E4rft), die Gew=F6lbe auf die Einscha- lungen aufgebracht, das Dachgew=F6lbe mit Portland=FCber- zug versehen und abgegl=E4ttet, die Dachgesimse gezogen, das Kamin um eine Holzwalze und einen Mantel gefertigt, der Kopf aufgesetzt und nur die Fensterb=E4nke, die Gurten (aus d=FCnnen Platten bestehend) und die Tragsteine f=FCr die Plattform (ebenfalls von Cement gefertigt) wurden beson- ders eingesetzt." (15)
Zwei der Bauten entsprechen genau der zur Baugenehmi- gung eingereichten Zeichnung. Das Geb=E4ude, das ganz aus "Portland-Cement-Beton" gegossen wurde, geriet in Terminschwierigkeiten durch den Bauunternehmer, soda=DF es kurz vor Er=F6ffnung der Bahnlinie rasch mit einem =FCbli- chen Dach mit einer Ziegeldeckung ausgestattet wurde.
"Nach diesen eigens gemachten Erfahrungen wurde die Ausf=FChrung weiterer Bahnwarth=E4user, sowie ganzer Sta- tionsgeb=E4ude, einzelner Mauertheile, Grund-Souterrain- Mauern, Sockel, Gew=F6lbe, Dohlen, Futternmauern, Per- ronfassungen und Estriche, einzelner Quader und der- gleichen mehr, und zwar zugleich zum Zwecke der Ver- breitung dieser n=FCtzlichen Bauart in den verschiedenen Gegenden Oberschwabens angeordnet und sind bis jetzt bereits wiederum zehn solcher Geb=E4ude theils mit, theils ohne Dachgew=F6lbe, theils in Regie, theils im Akkorde ausgef=FChrt, die sich ebenfalls gut bew=E4hrt und dem wirk- lichen Beton-Wohnhausbau in W=FCrtemberg bereits in al- len Landestheilen reichlich Eingang verschafft haben." (16)
Das spricht daf=FCr, da=DF es in Oberschwaben sehr viele Be- tonbauten, ganz aus Beton gegossen, als Wohnh=E4user gegeben haben mu=DF. Die Frage ist, welche dieser Bauten, auch der Bauten, die nicht den Wohnzwecken dienten, noch erhalten blieben. Man darf sie zu den fr=FChen Gu=DFbe- tonbauten z=E4hlen, die im deutschsprachigen Kulturraum errichtet wurden. Sie verdienen das Interesse der Bauge- schichte, auch wegen der gegossenen Gew=F6lbe =FCber dem obersten Gescho=DF, das nach au=DFen zur Dachschr=E4ge ausgebildet worden war. Solche Bauten aus einem Gu=DF sind wirkliche Rarit=E4ten.
K.L.
Dieser Text von Karl-Ludwig Diehl wurde in
Anmerkungen: (1)-(2) zitiert aus: J.Schlierholz: Ueber Beton-Verwendung zu Hochbauzwecken, haupts=E4chlich zu ganzen Geb=E4uden. S.260-265 u.1 Blatt mit Zeichnungen in: Allgemeine Bau- zeitung. Wien, 1870. S.260 (3) zitiert aus: J.Schlierholz, wie vor, S.264 (4)-(5) zitiert aus: J.Schlierholz, wie vor, S.260 (6) zitiert aus: J.Schlierholz, wie vor, S.260f. (7)-(11) zitiert aus: J.Schlierholz, wie vor, S.261 (12) siehe dazu: J.Schlierholz, wie vor, S.261ff. (13)-(16) zitiert aus: J.Schlierholz, wie vor, S.263