Das Deutsche Gew=F6lbemuseum recherchiert: das eingew=F6lbte Geb=E4ude der Bibliothek St.Genevi=E8ve in Paris
Die k=F6nigliche Abtei St.Genevi=E8ve in Paris begann im Jah- re 1624 mit dem Aufbau einer Bibliothek. Es entstand eine riesige und kostbare Sammlung wertvolle B=FCcher. Diese Sammlung war f=FCr die =D6ffentlichkeit nicht zug=E4nglich. Als die Abtei im Jahre 1793 s=E4kularisiert wurde, verwandelte man die Bibliothek in eine =F6ffentliche Einrichtung. Sie wur- de Nationaleigentum. Die Lage im Universit=E4tsviertel der Stadt pr=E4destinierte sie f=FCr den Universit=E4tsbetrieb. Doch die riesige B=FCchersammlung war in sehr ung=FCnstigen R=E4umlichkeiten untergebracht, soda=DF man, auch aus Gr=FCn- den der Feuersicherheit, an einen Neubau denken mu=DFte. Im Jahre 1843 wurde das Bauvorhaben genehmigt und eine Bibliothek f=FCr 125 000 B=E4nde und 400 Lesepl=E4tze wurde bei dem Architekten Henri Labrouste in Auftrag gegeben. Eine Geldsumme "von 1775000 Fr." stand zum Bau des Geb=E4u- des zur Verf=FCgung. (1)
Labrouste war kein Unbekannter, hatte aber nur wenig ge- baut. Man sagte ihm "einen =FCbertriebenen Hang zur Neue- rung" und "zu dem Romantischen" nach. Er w=FCrde jedoch "die Fundamentalregeln der architektonischen Tradizionen" keineswegs verachten. Er war ein Moderner des fr=FChen
19.Jahrhunderts:"Die ganze Architektur erscheint ihm mit Vorbehalt der durch Sitten und Klima jeden Landes bedingten Verh=E4ltnis- se als ein und dieselbe Flur, auf welcher keine Blume un- bedingt verachtet werden darf, vorausgesetzt, da=DF die Re- geln der Harmonie und die Regelm=E4=DFigkeit der Anlage un- angefochten bleiben, l=E4=DFt er dem Genie des K=FCnstlers ei- ne freie Bahn; er verlangt aber, da=DF man selbst bei der rei- nen Dekorazion von den industriellen Erfindungen der Zeit Gebrauch mache, und da=DF man ihnen bei vorkommender Gelegenheit Ornamente entlehne." (2)
Labrouste hatte sich in dem Wettbewerbssystem an der Acad=E9mie durch seine Entw=FCrfe einen Namen gemacht und war mit einem Reisestipendium nach Rom ausgestat- tet worden, was nur die besten Absolventen erhielten. In Rom entstand ein Disput zwischen ihm und Gelehrten =FCber das urspr=FCngliche Aussehen des Tempels zu P=E4- stum, der gro=DFes Aufsehen in der Fachwelt erregte. Als er den Auftrag zum Bau der Bibliothek St.Genevi=E8ve in Paris erhielt, widmete er diese der modernen Bautechnik. Es wurde ein sehr ungew=F6hnliches Geb=E4ude, bei welchem die beim Bau verwendeten Eisenkonstruktionen offen ge- zeigt wurden. Eine solche Vorgehensweise war riskant, da nur dem Ingenieurbau zugestanden wurde, die filigra- nen Eisenstrukturen offen zu zeigen. Bei der Gestaltung der Architektur, die immer noch als reiner Massivbau auf- gefa=DFt wurde, galten andere Regeln. Bei einem Geb=E4ude, in dem gro=DFe Leses=E4le zu schaffen waren, die sehr hell sein sollten, bot es sich jedoch an, filigrane Eisenkon- struktionen offen zu zeigen. Das sah auch die Redaktion der Allgemeinen Bauzeitung in Wien so, die =FCber das Bau- werk berichtete. Sie schrieb, weil ihr der Konflikt, der in der Fachwelt zu diesem Bibliotheksgeb=E4ude ausgetragen wur- de, sehr bewu=DFt war, dazu diese Zeilen:
"Wir wollen es mit Stillschweigen =FCbergehen, wie weit die Einf=FChrung des Eisens bei dem Bau aller Luxusgeb=E4ude getrieben werden k=F6nnte; bei dem Bau einer Bibliothek aber, deren Lesesaal mindestens 400 Leser aufnehmen sollte, war die Anwendung dieses Materials unumg=E4nglich nothwendig. Sparsamkeit, Leichtigkeit und Festigkeit sind die drei wesentlichsten Eigenschaften, welcher der Ge- brauch des Eisens verspricht, und welche auch von La- brouste erreicht worden sind. Er h=E4tte wie andere Architek- ten die Anwendung dieses kr=E4ftigen Hilfsmittels verstecken und sich begn=FCgen k=F6nnen es an die Stelle des Balkens der Alten zu setzen; er hat aber die Kunst veranla=DFt, dem Eisen die Urkunden der Einb=FCrgerung auszuliefern; zur offenen Schau hat er das Material gebracht, das ihm so viel Nutzen gew=E4hrt hat." (3)
Diese Formulierungen sprechen B=E4nde. "Sparsamkeit, Leichtigkeit und Festigkeit" sei durch die Verwendung des Eisens m=F6glich geworden. Damit das Material, das dem Architekten ein solch ungew=F6hnliches Bauen erm=F6glichte, nicht l=E4nger den Nutzern der Geb=E4ude verborgen blieb, lie=DF er sehen, was das Material kann. Durch die offene Verwendung der Eisenkonstruktionen sollte die Qualit=E4t des Baustoffes versinnbildlicht werden. Sie sind das gewor- den, was das Bauwerk so bedeutsam macht. Sie zeigen, was Eisenkonstruktion leisten, und sind zu solcher Sch=F6n- heit gestaltet worden, da=DF es eine Lust ist, sich in der Bib- liothek aufzuhalten.
Das =C4u=DFere des Geb=E4udes hat nur zarte Hinweise auf die filigranen Eisenkonstruktion, deren Wirkung sich in der riesigen Lesehalle der Bibliothek entfaltet.
"An dem =C4u=DFern des Geb=E4udes verk=FCndet es sich in der Form gro=DFer Schilder, welche den Schrauben der Veranke- rung gleichen, die sich =FCber den Fenstern des Erdgeschos- ses als K=F6pfe, =FCber denen des obern Geschosses aber als Spitzen zeigen; in der kugelf=F6rmigen H=F6hlung jedes Kopfes erblickt man das Monogramm von St.Genevi=E8ve. Die eisernen Schilder des Erdgeschosses wechseln mit steinernen ab; reiche Frucht- und Blumengeh=E4nge verbin- den sie." (4)
Es wird also aussen sehr fein angedeutet, da=DF sich im Inneren etwas anderes entfaltet als =FCblich. Wer das Geb=E4u- de betritt, kommt zun=E4chst in ein Vestib=FCl. In Nischen wer- den links und rechts B=FCsten bedeutender Schriftsteller und solche von Gelehrten gezeigt. Als Plafond wurden Baum- kronen gemalt, die den Eindruck erwecken, als bewege man sich im Vestib=FCl durch eine Allee. Links und rechts gibt es Durchl=E4sse, um in die Sammlungen f=FCr Druckwer- ke, Manuskripte und Zeichnungen gelangen zu k=F6nnen. Wer zur Bibliothek will, strebt =FCber die Treppe nach oben. Dort =F6ffnet sich hinter einer hohen eisernen T=FCr das Saal- gescho=DF mit den Lesepl=E4tzen unten und den Galerien f=FCr die Buchbest=E4nde, die sich =FCber den B=FCcherw=E4nden da- runter an den Au=DFenw=E4nden entlang ziehen. =DCber dem hohen querliegenden Saal, der sich links und rechts in die Tiefe des Raumes erstreckt, schweben auf filigranen Ei- senst=FCtzen die eisernen B=F6gen, =FCber denen sich W=F6lbun- gen ausbreiten und den Raumabschlu=DF bilden. Der Raum- eindruck ist einzigartig. Die Konstruktion wird so beschrie- ben:
"Durch die eiserne Th=FCr /.../ treten wir endlich in den gros- sen Lesesaal ein, der aus zwei mit der langen Fa=DFade des Geb=E4udes parallelen und durch eiserne S=E4ulen kom- positer Ordnung getrennten Galerien besteht. Durch 17 eiserne Bogen sind diese S=E4ulen miteinander verbunden. Pilaster, auf deren K=E4mpfer sich die Fensterarchivolten aufsetzen, laufen an den vier W=E4nden des Saales herum. Andere eiserne Bogen schwingen sich von den an den Kapit=E4len dieser Pilaster angebrachten Konsolen nach den Mittels=E4ulen hin=FCber, auf deren Kapit=E4le sie ruhen. In der Mitte der Kr=FCmmung eines jeden Querbogens ist ein eiser- ner Stern nach Art eines Schlu=DFsteines in einem Gew=F6l- be befestigt. /.../ die S=E4ulen ruhen auf Postamenten ohne Plinthe und ohne Gliederungen, wie aus dem Querprofile /.../ zu ersehen ist. /.../ Die beiden Galerien sind unter sich durch die beiden =E4us- sern B=F6gen, deren Weite zweimal gr=F6=DFer ist als die der =FCbrigen 15, und durch die drei Mittelbogen verbunden." (5)
Die Zeichnungen k=F6nnen die Baukonstruktion zwar erkl=E4- ren, geben aber nicht den Raumeindruck wieder, der durch die B=F6gen und Gew=F6lbe erzielt wurde. Gl=FCcklicherweise sind =FCber das Internet Fotos verf=FCgbar:
Die Innenausstattung wurde nat=FCrlich einem modernen Bibliotheksbetrieb gem=E4=DF entworfen. Im Lesesaal war es tags=FCber durch die gro=DFen Fenster sehr hell an den Lese- tischen.
"Abends werden dieselben durch Gas beleuchtet, deren R=F6hren durch die Mitte der Tische gehen." (6)
Man hatte mit dem Bau des ungew=F6hnlichen Geb=E4udes im August 1843 begonnen. Im Dezember 1850 wurde es vollendet und im Februar des Jahres 1851 nach der Aus- stattung mit B=FCchern feierlich er=F6ffnet.
Der Bibliotheksbau hatte die Fachwelt sehr beeindruckt. Die Art seiner Eisenkonstruktion l=F6ste Bauwerke aus, die =E4hnlich gehalten wurden. Es mu=DF eine gro=DFe Auswir- kung darauf gehabt haben, wie man mit Eisenkonstruk- tionen umging. Die Scheu, leichte Baukonstruktionen in der Baukunst der Architekten zu verwenden, d=FCrfte verlo- ren gegangen sein. Den Diskurs nachvollziehbar zu ma- chen, der zum Wandel architektonischer Gestaltung durch neue Auffassungen in der Architekturtheorie f=FChrte, stellt sich als interessante Aufgabe dar.
Die Zeichnungen der Grundrisse erl=E4utern uns das Bau- werk etwas mehr. Im Grundri=DF des Kellergescho=DFes sind die Rohre f=FCr die warme Luft eingezeichnet, mit der die Bibliothek in der kalten Jahreszeit beheizt wird. Der Plan des Erdgescho=DFes zeigt uns das Vestib=FCl und die Treppe zum Lesesaalgescho=DF dar=FCber. Links und rechts des Vestib=FCls liegen die S=E4le, in denen Zeichnun- gen, Manuskripte und =E4hnliche Kostbarkeiten eingesehen werden k=F6nnen. Der Plan der Lesesaalebene zeigt uns die Verteilung der Lesepl=E4tze, die Lage der eisernen St=FCt- zen, der Treppen zu den Galerien. Wir bemerken, da=DF den Lesern ein gro=DFz=FCgiges Bibliotheksgeb=E4ude zur Verf=FCgung gestellt wurde, das durch seine Architektur die Bedeutung des Wissenschaftsbetriebes f=FCr die Entwicklung einer Ge- sellschaft hervorragend zum Ausdruck bringt. In einer sol- chen Bibliothek zu arbeiten, schafft ein erhebendes Gef=FChl. Die Architektur des Geb=E4udes wird durch seine Symmetrie gepr=E4gt. Diese ist bei der klassizistischen Architektur meist anzutreffen. In der Mitte des 19.Jahrhunderts schafft Labrouste eine Variante des Klassizismus, die mit moder- nen Eisenbauteilen ausgestattet ist. Der Leichtigkeit, mit welcher die Eisenkonstruktionen aus Gu=DF- und Schmiede- eisen hohe und weite S=E4le =FCberdecken liessen, gesellt sich interessant die hohe Festigkeit des Eisens hinzu. Diese F=E4higkeit des Materials wurde in den filigranen Struk- turen der hohen S=E4ulen und weiten Bogenkonstruktionen sinnf=E4llig gemacht und in einem neuartigen Konzept des Klassizismus klug untergebracht. Besucher der Bibliothek sind immer auf ein Neues erstaunt, was menschlicher Geist und menschliche Kreativit=E4t zustande bringt.
K.L.
Dieser Text von Karl-Ludwig Diehl wurde in
Anmerkungen: (1) siehe im gesamten Kontext in: o.A.: Die Bibliothek St.Genevi=E8ve in Paris. Ausgef=FChrt von Hrn.Labrouste, franz. Regierungs-Architekten in Paris. S.139-142 und Zeichnungen auf Blatt 469 bis 475 in: Allgemeine Bauzei- tung. Wien, 1852. S.139ff. (2)-(4) zitiert aus: o.A., wie vor, S.140 (5)-(6) zitiert aus: o.A., wie vor, S.142