Wie lassen sich Gewölbetheorien für Laien verständlicher machen?
Ich bin kein Ingenieur, habe aber wichtige Ingenieurthemen
aufgegriffen und gute Versuche unternommen, in Ausstel-
lungen u.a. darüber zu berichten.
Zur Zeit grübele ich darüber nach, wie sich Gewölbetheorien für Laien besser verständlich machen lassen. Vielleicht hat je- mand brauchbare Literaturhinweise oder ist schon einmal auf anschauliche Baumodelle gestoßen worden, durch die sich solche Zusammenhänge im Denken und Auffassen vereinfachen lassen. Gute Beschreibungen sind auch immer hilfreich. Üblicherweise darf nicht mit mathematischen Formeln erklärt werden. Sie können aber gezeigt und auch in einer fachlicheren Erläuterung untergebracht sein.
Über eine hilfreiche Diskussion wäre ich dankbar. Im Anhang ein Aufsatz den ich zuvor in dsa eingestellt hatte.
Grüße Karl-Ludwig Diehl
Anhang: ------------------ Man beachte, daß die Begriffe in älteren Zeiten andere waren, also diese Zusammenhänge aus der Zeit heraus verstanden werden müssen ------------------
Das Deutsche Gewölbemuseum recherchiert: Gewölbetheorien
Wie ergibt sich die Haltbarkeit der Gewölbe? Es haben sich zu dieser Fragestellung sehr verschiedene Gewölbetheorien gebildet. E.Winkler meinte 1879, daß sich bis dato "keine Einigung in den Ansichten der Wirkungsweise der Gewölbe" ergeben habe. (1) Daran wird sich vielleicht bis heute wenig geändert haben. Für seinen Vortrag in Berlin hatte er die ver- schiedenen Ansätze, die es bis dahin gab, zusammenge- stellt. Wie sich die Gewölbetheorien bis heute weiterent- faltet haben, wäre herauszufinden.
In der Einleitung seines Vortrages erläutert er zunächst die Stützlinie:
"Die Stabilitäts-Verhältnisse eines Gewölbes werden zur klaren Anschauung durch eine Linie gebracht, welche man Stützlinie nennt. Wir verstehen unter Stützlinie diejenige Linie, welche die Durchschnittspunkte der Resultante der in jeder Fuge des Gewölbes wirkenden Drücke mit dieser Fuge enthält oder sie verbindet." (2)
Diese Stützlinie geht entweder durch die Mitte der Fuge, das mittlere Drittel der Fuge, oder sie liegt ausserhalb von ihr. Geht sie durch die Mitte der Fuge, verteile sich der Druck im Gewölbe gleichmäßig, geht sie durch das mitt- lere Drittel, so, meint Winkler, "so vertheilt sich der Druck noch über die ganze Fuge, aber im allgemeinen ungleich- mässig", liegt die Stützlinie außerhalb des mittleren Drit- tels, so verteile sich der Druck nur über ein Stück der Fuge.
Desweiteren erklärt er, es gebe neben der Stützlinie eine zweite Linie, die deswegen entstehe, weil man sich Kräfte denken müsse, die auf das Gewölbe von außen einwirken, was man sich als ein System von Einzelkräften vorstellen müsse, die nicht gleichmäßig verteilt sind. Man habe sich deshalb ein Gelenk-Polygon vorzustellen, das sich im Gleichgewicht befinde, wenn die angegebenen Kräfte auf daselbe wirken. Man nenne dieses Polygon auch das Seil- Polygon, weil es gleichzeitig diejenige Form darstellt, welche ein Seil annehmen würde, wenn die Kräfte in ent- gegengesetzter Richtung auf daselbe wirkten. Aus dem Seil-Polygon würde eine Seilkurve, wenn man sich alle Lasten gleichmäßig verteilt vorstelle. (3)
Neben den Worten Stützlinie und Seil-Kurve seien noch andere Bezeichnungen in Gebrauch, solche wie Mittellinie des Drucks, Richtungslinie des Drucks, Drucklinie, Wider- standslinie, und andere. Manche würden das Wort Stütz- linie und das Wort Seil-Kurve in demselben Sinne gebrau- chen. Mir selbst fällt dazu noch der Begriff Kettenlinie ein. Es sei jedoch so, daß eine gewisse Unbestimmt- heit bestehe, wo die Stützlinie im Gewölbe wirklich liegt:
"Bei einem Gewölbe bestimmen die äusseren Kräfte also die Form der Stützlinie, doch nicht ihre Lage." (4)
Die äußeren Umstände, welche die Lage der Stützlinie mitbestimmen, sind z.B.
"die Wirkung des Lehrgerüstes, die Bewegung der Wider- lager, die Mörtelkonsistenz etc." (5)
Durch die Belastung eines Lehrgerüstes mit der aufge- mauerten Wölbung verforme sich z.B. das Lehrgerüst, dadurch entstehe Bewegung an den Widerlagern und der Mörtel erfahre unterschiedliche Pressungen, usw. Wenn das Lehrgerüst weggenommen wird, trete ebenfalls ein neuer Zustand ein. Winkler schlägt deshalb vor, einen Normalzustand des Gewölbes anzunehmen, um Überle- gungen anstellen zu können, wo die Stützlinie liegt:
"Wir wollen uns daher einen Zustand des Gewölbes den- ken, bei welchem unmittelbar vor dem Ausrüsten zwar noch keine Drücke in den Fugen existiren, wohl aber alle Fugen vollständig geschlossen und die Widerlager absolut unverrückbar sind. Wir nennen diesen Zustand den normalen." (6)
Winkler unterschied 1879, als er die geschichtliche Ent- wicklung der Gewölbetheorien und die verschiedenen Gewölbetheorien behandelte, fünf Gattungen von Theo- rien:
1. Die Keiltheorie 2. Die Seiltheorie 3. Die Kantungstheorie 4. Die Theorien nach dem Prinzip der günstigsten Bean- spruchung 5. Die Elastizitätstheorie
Vermutlich hat sich die Theoriebildung bis heute weiter- entwickelt. Da das so sein wird, muß die Zusammenstel- lung ergänzt werden. Es stellt sich nun die Frage, wie lassen sich all diese Gewölbetheorien, die sich Wissen- schaftler ausgedacht haben, welche der Frage nach der Haltbarkeit von Gewölben nachspürten, so erläutern und die Problemstellung so visualisieren, daß sie auch je- der Laie versteht und die Idee der Gewölbetheorie nach- vollziehbar wird.
1. Die Keiltheorie
Winkler meint, man ginge bei der Keiltheorie davon aus, daß die Steine des Gewölbes gegeneinander nur Gleitbewegungen ausführen könnten. 1695 habe be- reits de la Hire eine absolut glatte Fuge in halber Höhe des Gewölbes angenommen und gemeint, das obere Stück der Wölbung, also das Mittelstück, drücke auf die unteren seitlichen Stücke, wobei das obere Gewöl- beteil keilförmig auf die darunter befindlichen Teile drücke. Auf dieser Basis habe zunächst auch Couplet 1729 über die Gewölbe theoretisiert.
Eytelwein habe 1808 mit seiner Gewölbetheorie darauf aufgebaut, jedoch eine Vermehrung der Fugenzahl an- genommen, sodaß ein Bild von vielen Gewölbeab- schnitten aufkam, die keilförmig auf die darunterlie- genden drücken würden. Er sei zunächst davon aus- gegangen, diese Fugen seien absolut glatt zu den- ken, aber später habe er auch einen Einfluß der Rei- bung in seine Theorie eingebaut. Jedoch sei, wie bei den älteren Keiltheorien, keine Stützlinie angenom- men worden. Obwohl sich bald darauf bessere Ge- wölbetheorien einfanden, habe man dieser Theorie von Eytelwein noch länger angehangen, so tat es noch 1833 Camerloher. (7)
2. Die Seiltheorie
Die Seiltheorie, auch Kettentheorie genannt, setzt voraus, daß die Achse des Gewölbes nach der Seil- kurve geformt ist. Und zwar wird davon ausgegangen, daß die Schwerpunkte der Wölbsteine auf einer Linie liegen, welche ein Gelenkpolygon bei gleich- mässiger Belastung bilde. Allerdings sei diese Auf- fassung nur bei einem Gewölbe von unendlich gerin- ger Dicke als vollständig richtig anzunehmen. Man nehme bei der Seiltheorie an, daß bei großer Annä- herung von Seilkurve und Mittellinie des Gewölbes sich der Druck in allen Fugen gleichmäßig über die Fuge verteilt, sodaß sich bei richtiger Formgebung die Abmessung der Gewölbe in ihrer Dicke auf das Optimum verringern läßt. Aus diesem Theorieansatz heraus sei es zu sehr zweckmäßigen Gewölbefor- men gekommen, allerdings habe sich die Theorie nicht überall durchsetzen können. So habe z.B. Scheffler die Meinung verbreitet, die Theorie könne zu einer Verwirrung der Ansichten über das Gleich- gewicht eines Gewölbes beitragen. Mit der Zeit habe man herausgefunden, daß die Seiltheorie nicht "zur allgemeinen Kenntnis der Stützlinie führt", sie aber trotzdem verwendet, um leichter auf modernere Ansätze von Gewölbetheorien stoßen zu können. (8)
Winkler nennt mehrere Autoren, welche der Seil- theorie anhingen: Gerstner (1831) Knochenhauer (1842) Hagen (1844) Joon Villarceau (1846) Schubert (1847) Hoffmann (1853) Schwedler (1859) Ott (1870) Heinzerling (1872) Ritter (1876) Wittmann (1878)
3. Die Kantungstheorie
Man setze bei ihr voraus, daß sich bei Einsturz des Gewölbes seine Einzelteile um innere oder äußere Kanten gewisser Fugen drehen, was also einen Bruch des Gewölbes "in mehrere gegenseitig kan- tende Theile" ergebe. Erste Ideen dazu habe Cou- plet 1730 formuliert, Colomb wiederum habe 1773 aus diesem Ideenansatz eine erste richtiggehend ausformulierte Kantungstheorie gemacht. Diese sei von Audory im Jahre 1820, von Lamé und Clapeyron im Jahre 1823, sowie von Navier 1826 und Mery 1827 weitergeführt worden. Poncelet habe die ana- lytische Behandlung des Kantungsproblems 1835 durch eine geometrische ersetzt.
Winkler meint, mit der Kantungstheorie sei man nicht imstande die Lage der Stützlinie herauszu- finden, man wisse daher auch nichts Genaues über die Verteilung des Druckes über die Fugen, aber man sei mit dieser Theorie in der Lage festzustellen, ob ein Gewölbe stabil ist oder einstürzen wird. Sie gebe wichtige Anhaltspunkte für die Konstruktion des Gewölbes, über die notwendigen Hintermauerun- gen und Auskunft zu den Widerlagern. (9)
Es gebe verschiedene Hauptsätze der Kantungs- theorie: - Eine Stützlinie, welche dem Maximum und dem Minimum des Horizontalschubes entspreche, habe abwechselnd mit der inneren und mit der äußeren Wölblinie drei Punkte gemein. - Die Stützlinie entspreche dem Maximum, wenn die beiden äußeren Punkte auf der äußeren, der mittlere Punkt auf der inneren Wölblinie - dem Mini- mum, wenn die beiden äußeren Punkte auf der inneren, der mittleren auf der äußeren Wölblinie liege. - Bei flachen Gewölben gehe die Maximal-Stütz- linie durch die obersten Kanten der Kämpferfuge und bei symmetrischer Anordnung durch die unter- ste Kante der Scheitelfuge. Bei Halbkreis- und ge- drückten Ellipsen-Bogen gehe die Maximal-Stütz- linie ebenfalls durch die oberste Kante der Kämp- ferfugen, berühre aber in zwei Punkten die innere Wölblinie; die Minimal-Stützlinie berühre in zwei Punkten die innere Wölblinie (die sogenannten Bruchpunkte) und gehe bei symmetrischer Anord- nung durch die oberste Kante der Scheitelfuge. - Ein Gewölbe befinde sich im labilen Gleichge- wicht, wenn sich im Gewölbe eine Stützlinie kon- struieren lasse, welche sowohl dem Maximum, als auch dem Minimum des Horizontalschubes entspreche, wenn also die Stützlinie mit den bei- den Wölblinien mindestens vier abwechselnd auf der äußeren und inneren Wölblinie liegende Punk- te gemein habe, sodaß beim Einstürzen minde- stens drei Teile des Gewölbe gegenseitig kanten. In diesem Falle sei die Stützlinie die einzig mög- liche, weshalb man sagen könne, es finde ein labiles Gleichgewicht statt, wenn nur eine einzi- ge Stützlinie möglich sei. - Das Gewölbe sei im stabilen Gleichgewicht, wenn sich eine ganz innerhalb des Gewölbes liegende, die Wölblinie nirgends berührende Stützlinie konstruieren lasse. In diesem Falle sei- en außer dieser Stützlinie natürlich noch andere innerhalb des Gewölbe liegende Stützlinien mög- lich. (10)
Man habe die Kantungstheorie durch die Theorie nach dem Prinzip des kleinsten Widerstandes er- weitert, nach der laut Mosley, 1833, diejenige Stütz- linie die richtige sei, für welche der Horizontalschub ein Minimum werde. Scheffler habe 1857 diesen Arbeitsansatz erweitert. Nach ihm würde die wahre Stützlinie mit der äußeren und inneren Wölblinie mindestens acht Punkte gemein haben. Man müs- se aber ein unpreßbares Baumaterial für das Ge- wölbe annehmen, damit diese wahre Stützlinie an- genommen werden könne. (11) Ceradini habe den Arbeitsansatz von Scheffler noch weiter verfeinert, was das Aufsuchen der Stützlinie verbessert habe. (12)
4. Die Theorien nach dem Prinzip der günstigsten Bean- spruchung
Hagen, der 1844 und 1862 dazu publizierte, hatte die Idee ausgebreitet, es müsse die Stützlinie gefunden werden, welche das Gewölbesystem mit der größten Sicherheit stütze. Hänel nannte 1868 die Stützlinie als die günstigste, bei der der spezifische Maximal- druck die unterste Grenze des wirklich möglichen Maximaldruckes habe. Diese Stützlinie sei jedoch nicht die wirkliche Stützlinie im Gewölbe. Im Jahre 1865 behauptet Drouets, die Natur würde die mole- kularen Widerstände im beanspruchten Material nur soweit entfalten, als es notwendig ist, zusammen mit den äußeren Kräften ein Gleichgewicht zu erzeu- gen. Folglich müsse man so verfahren, daß der größte vorkommende spezifische Druck ein Mini- mum darstellt. Drouets bezeichnet sein Prinzip als "metaphysisches Prinzip". Es sei von Dupuit wider- legt worden. Durand Claye habe das Drouets'sche Prinzip 1867 sehr eingehend untersucht und dazu eine graphische Durcharbeitung gegeben. (13)
Auch Culmann lieferte 1866 Aussagen zu dieser Ge- wölbetheorie:
"Von allen Drucklinien ist diejenige die wirkliche, welche sich der Axe des Gewölbes in der Art am meisten nähert, dass der Druck in den am stärk- sten komprimierten Fugenkanten ein Minimum ist". (14)
Winkler legt ihm das so aus:
"Ist das Gewölbe so schwach und die Widerstands- fähigkeit des Materials so gering, dass es nur mög- lich ist, eine einzige Stützlinie einzuzeichnen, wel- che kein Zerdrücken oder Kanten herbei führt, so ist dieselbe die richtige." (15)
Daraus ergebe sich bei einem Material, das mit der Zeit härte, keine Änderung des Zustandes, was sage, die Lage der Stützlinie sei auch bei festerem Material dieselbe. Winkler macht dazu Scherze. Er weist darauf hin, man habe dafür inzwischen das "Prinzip der Schlauheit des Materials" erfunden. (16)
Zu dieser Theorie nach dem Prinzip der günstigsten Beanspruchung gibt es weitere Arbeiten von Car- vallo von 1853, von Harlacher im Jahre 1870 und von Ott aus dem Jahre 1871. Ott legte Wert darauf, daß die Stützlinie durch die Mitte der Kämpfer- und Scheitelfuge geht, damit kein Bruch des Ge- wölbes eintreten kann. Boistard hatte 1822 seine Beobachtungen publiziert, daß die Bruchfuge immer nahe an der inneren Wölblinie liege, am Scheitel jedoch nahe der äußeren Stützlinie sei. Navier meinte 1826, es trete ein Klaffen der Wölbung ein, wenn die Stützlinie das mittlere Drittel verlasse. (17)
5. Die Elastizitätstheorie
Sie entsprang dem neuen Material Eisen, das sich elastisch verhält und Formveränderungen erlebt. Man hatte damit auf den Ersatz von Steinbrücken durch Eisenbrücken reagiert. Später hat man er- kannt, das auch das Steinmaterial bei Gewölben als elastisch anzusehen ist. Bauschinger und Köp- ke hätten durch spezielle Untersuchungen diese Elastizität des Steinmaterials nachgewiesen, in- formiert Winkler. Von Navier sei diese Elastizität bereits angenommen worden, Scheffler habe dies jedoch zurückgewiesen. Zur Zeit der Schrift Wink- lers habe die Elastizitätstheorie jedoch immer mehr Anhänger gefunden. Parallel zu Schwedlers Veröffentlichungen zum Thema von 1868 und der Vorträge von Winkler im Jahre 1874 habe Belpaire zur Elastizitätstheorie im Jahre 1877 publiziert. Hoffmann hielt der Elastizitätstheorie von Schwed- ler entgegen, eine einseitige Belastung werde eine Formänderung erstreben, sie werde aber nicht ein- treten, da die Druckfestigkeit des Baustoffes dies verhindere. Winkler hält dem entgegen, Druckfestig- keit und Elastizität seien zwei völlig verschiedene Dinge, sodaß durch diese Kritik von Hoffmann der Wert der Elastizitätstheorie nicht abzuschwächen sei.
Ich frage mich, wie diese Theorie dem Laien an- schaulich gemacht werden kann. Winkler gibt nach mehreren theoretischen Überlegungen diese For- mulierung:
"Läßt sich eine Stützlinie konstruieren, welche mit der Mittellinie zusammen fällt, so wird diese hier- nach die richtige sein," (18)
woraus sich ergebe, daß die unter dem Namen Seil-Theorie ausformulierte Methode nahezu die richtige ist, nämlich dann, wenn man der Gewölbe- achse genau die Form der Stützlinie gebe. Die Form des Gewölbes sei vermutlich auch die ratio- nellste, bei welcher bei totaler Belastung die Ge- wölbeachse mit der Stützlinie zusammenfalle. (19) Um die Form der Mittellinie zu bestimmen, sind mehrere statische Verfahren notwendig, aus den- nen sich die Dicke der Wölbung ergeben muß, auch um herauszufinden, wie sich innere und äußere Wölblinie belasten lasssen und wie sich dabei die Stützlinie von der Mittellinie entfernen kann.
Winkler weist nun darauf hin, daß alle diese Über- legungen, die dazu hinführten, herauszuarbeiten, daß die Elastizitätstheorie die richtige sei, am nor- malen Zustand des Gewölbe abgehandelt wurden. Dieser Zustand gehe aber verloren, sobald das Lehrgerüst einer Wölbung weggenommen werde. Man müsse in der Folge bereits eine Deformation des Lehrgerüstes schon während der Bauphase an- nehmen, sodann sei davon auszugehen, daß die Widerlager des Gewölbes sich nach dem Entfernen des Lehrgerüstes verschieben werden, außerdem rufe eine Temperaturveränderung, die auf das Ge- wölbe wirkt, Einflüße auf die Gewölbeform hervor. Es entstünde bei diesen Störungen des Ge- wölbes ein Aufklaffen von Fugen. Auf alle diese Auswirkungen sei Rücksicht zu nehmen, durch Gelenke, durch offene Fugen, die nach dem Aus- rüsten der Schalung geschloßen werden, usw. (20)
Gewölbetheorien, obwohl eine komplizierte Ma- terie, müßte man so zur Erklärung bringen, daß sie für jeden Laien anschaulich werden. Es bleibt die Frage, wie lassen sie sich jedem erklären, der sich dafür in einer Ausstellung interessiert. Das da- bei die Entwicklung der Gewölbetheorien bis in un- sere Zeit weiterzuverfolgen ist, ergibt sich von selbst
K.L.
Dieser Text von Karl-Ludwig Diehl wurde in http://groups.google.com/group/de.sci.architektur zur Diskussion gestellt. Der Autor ist über folgende Emailadresse erreichbar: baugeschichte (at) email.de
Anmerkungen: (1) siehe: E.Winkler: Lage der Stützlinie im Gewölbe. S.117-118 in: Deutsche Bauzeitung. Heft Nr.23. Berlin, 1879. S.117f. (2) zitiert aus: E.Winkler, wie vor, S.117 (3) siehe: E.Winkler, wie vor, S.117f. (4)-(6) zitiert aus: E.Winkler, wie vor, S.118 (7)-(8) siehe: E.Winkler, wie vor, S.118 (9)-(11) siehe: E.Winkler, wie vor, S.118 (12) siehe: E.Winkler, wie vor, S.119 (13) siehe: E.Winkler: Lage der Stützlinie im Gewölbe. S.127-130 in: Deutsche Bauzeitung. Heft 25. Berlin, 1879. S.127 (14) Culmann zitiert bei: E.Winkler, wie vor, S.127 (15) zitiert aus: E.Winkler, wie vor, S.127 (16)-(17) siehe: E.Winkler, wie vor, S.127 (18) zitiert aus: E.Winkler, wie vor, S.128 (19) siehe: E.Winkler, wie vor, S.128 (20) siehe: E.Winkler: Lage der Stützlinie im Ge- wölbe. S.58-60 in: Deutsche Bauzeitung. Heft 11. Berlin, 1880. S.58ff.
Ich bin kein Ingenieur, habe aber wichtige Ingenieurthemen
Zur Zeit grübele ich darüber nach, wie sich Gewölbetheorien für Laien besser verständlich machen lassen. Vielleicht hat je- mand brauchbare Literaturhinweise oder ist schon einmal auf anschauliche Baumodelle gestoßen worden, durch die sich solche Zusammenhänge im Denken und Auffassen vereinfachen lassen. Gute Beschreibungen sind auch immer hilfreich. Üblicherweise darf nicht mit mathematischen Formeln erklärt werden. Sie können aber gezeigt und auch in einer fachlicheren Erläuterung untergebracht sein.
Über eine hilfreiche Diskussion wäre ich dankbar. Im Anhang ein Aufsatz den ich zuvor in dsa eingestellt hatte.
Grüße Karl-Ludwig Diehl
Anhang: ------------------ Man beachte, daß die Begriffe in älteren Zeiten andere waren, also diese Zusammenhänge aus der Zeit heraus verstanden werden müssen ------------------
Das Deutsche Gewölbemuseum recherchiert: Gewölbetheorien
Wie ergibt sich die Haltbarkeit der Gewölbe? Es haben sich zu dieser Fragestellung sehr verschiedene Gewölbetheorien gebildet. E.Winkler meinte 1879, daß sich bis dato "keine Einigung in den Ansichten der Wirkungsweise der Gewölbe" ergeben habe. (1) Daran wird sich vielleicht bis heute wenig geändert haben. Für seinen Vortrag in Berlin hatte er die ver- schiedenen Ansätze, die es bis dahin gab, zusammenge- stellt. Wie sich die Gewölbetheorien bis heute weiterent- faltet haben, wäre herauszufinden.
In der Einleitung seines Vortrages erläutert er zunächst die Stützlinie:
"Die Stabilitäts-Verhältnisse eines Gewölbes werden zur klaren Anschauung durch eine Linie gebracht, welche man Stützlinie nennt. Wir verstehen unter Stützlinie diejenige Linie, welche die Durchschnittspunkte der Resultante der in jeder Fuge des Gewölbes wirkenden Drücke mit dieser Fuge enthält oder sie verbindet." (2)
Diese Stützlinie geht entweder durch die Mitte der Fuge, das mittlere Drittel der Fuge, oder sie liegt ausserhalb von ihr. Geht sie durch die Mitte der Fuge, verteile sich der Druck im Gewölbe gleichmäßig, geht sie durch das mitt- lere Drittel, so, meint Winkler, "so vertheilt sich der Druck noch über die ganze Fuge, aber im allgemeinen ungleich- mässig", liegt die Stützlinie außerhalb des mittleren Drit- tels, so verteile sich der Druck nur über ein Stück der Fuge.
Desweiteren erklärt er, es gebe neben der Stützlinie eine zweite Linie, die deswegen entstehe, weil man sich Kräfte denken müsse, die auf das Gewölbe von außen einwirken, was man sich als ein System von Einzelkräften vorstellen müsse, die nicht gleichmäßig verteilt sind. Man habe sich deshalb ein Gelenk-Polygon vorzustellen, das sich im Gleichgewicht befinde, wenn die angegebenen Kräfte auf daselbe wirken. Man nenne dieses Polygon auch das Seil- Polygon, weil es gleichzeitig diejenige Form darstellt, welche ein Seil annehmen würde, wenn die Kräfte in ent- gegengesetzter Richtung auf daselbe wirkten. Aus dem Seil-Polygon würde eine Seilkurve, wenn man sich alle Lasten gleichmäßig verteilt vorstelle. (3)
Neben den Worten Stützlinie und Seil-Kurve seien noch andere Bezeichnungen in Gebrauch, solche wie Mittellinie des Drucks, Richtungslinie des Drucks, Drucklinie, Wider- standslinie, und andere. Manche würden das Wort Stütz- linie und das Wort Seil-Kurve in demselben Sinne gebrau- chen. Mir selbst fällt dazu noch der Begriff Kettenlinie ein. Es sei jedoch so, daß eine gewisse Unbestimmt- heit bestehe, wo die Stützlinie im Gewölbe wirklich liegt:
"Bei einem Gewölbe bestimmen die äusseren Kräfte also die Form der Stützlinie, doch nicht ihre Lage." (4)
Die äußeren Umstände, welche die Lage der Stützlinie mitbestimmen, sind z.B.
"die Wirkung des Lehrgerüstes, die Bewegung der Wider- lager, die Mörtelkonsistenz etc." (5)
Durch die Belastung eines Lehrgerüstes mit der aufge- mauerten Wölbung verforme sich z.B. das Lehrgerüst, dadurch entstehe Bewegung an den Widerlagern und der Mörtel erfahre unterschiedliche Pressungen, usw. Wenn das Lehrgerüst weggenommen wird, trete ebenfalls ein neuer Zustand ein. Winkler schlägt deshalb vor, einen Normalzustand des Gewölbes anzunehmen, um Überle- gungen anstellen zu können, wo die Stützlinie liegt:
"Wir wollen uns daher einen Zustand des Gewölbes den- ken, bei welchem unmittelbar vor dem Ausrüsten zwar noch keine Drücke in den Fugen existiren, wohl aber alle Fugen vollständig geschlossen und die Widerlager absolut unverrückbar sind. Wir nennen diesen Zustand den normalen." (6)
Winkler unterschied 1879, als er die geschichtliche Ent- wicklung der Gewölbetheorien und die verschiedenen Gewölbetheorien behandelte, fünf Gattungen von Theo- rien:
1. Die Keiltheorie 2. Die Seiltheorie 3. Die Kantungstheorie 4. Die Theorien nach dem Prinzip der günstigsten Bean- spruchung 5. Die Elastizitätstheorie
Vermutlich hat sich die Theoriebildung bis heute weiter- entwickelt. Da das so sein wird, muß die Zusammenstel- lung ergänzt werden. Es stellt sich nun die Frage, wie lassen sich all diese Gewölbetheorien, die sich Wissen- schaftler ausgedacht haben, welche der Frage nach der Haltbarkeit von Gewölben nachspürten, so erläutern und die Problemstellung so visualisieren, daß sie auch je- der Laie versteht und die Idee der Gewölbetheorie nach- vollziehbar wird.
1. Die Keiltheorie
Winkler meint, man ginge bei der Keiltheorie davon aus, daß die Steine des Gewölbes gegeneinander nur Gleitbewegungen ausführen könnten. 1695 habe be- reits de la Hire eine absolut glatte Fuge in halber Höhe des Gewölbes angenommen und gemeint, das obere Stück der Wölbung, also das Mittelstück, drücke auf die unteren seitlichen Stücke, wobei das obere Gewöl- beteil keilförmig auf die darunter befindlichen Teile drücke. Auf dieser Basis habe zunächst auch Couplet 1729 über die Gewölbe theoretisiert.
Eytelwein habe 1808 mit seiner Gewölbetheorie darauf aufgebaut, jedoch eine Vermehrung der Fugenzahl an- genommen, sodaß ein Bild von vielen Gewölbeab- schnitten aufkam, die keilförmig auf die darunterlie- genden drücken würden. Er sei zunächst davon aus- gegangen, diese Fugen seien absolut glatt zu den- ken, aber später habe er auch einen Einfluß der Rei- bung in seine Theorie eingebaut. Jedoch sei, wie bei den älteren Keiltheorien, keine Stützlinie angenom- men worden. Obwohl sich bald darauf bessere Ge- wölbetheorien einfanden, habe man dieser Theorie von Eytelwein noch länger angehangen, so tat es noch 1833 Camerloher. (7)
2. Die Seiltheorie
Die Seiltheorie, auch Kettentheorie genannt, setzt voraus, daß die Achse des Gewölbes nach der Seil- kurve geformt ist. Und zwar wird davon ausgegangen, daß die Schwerpunkte der Wölbsteine auf einer Linie liegen, welche ein Gelenkpolygon bei gleich- mässiger Belastung bilde. Allerdings sei diese Auf- fassung nur bei einem Gewölbe von unendlich gerin- ger Dicke als vollständig richtig anzunehmen. Man nehme bei der Seiltheorie an, daß bei großer Annä- herung von Seilkurve und Mittellinie des Gewölbes sich der Druck in allen Fugen gleichmäßig über die Fuge verteilt, sodaß sich bei richtiger Formgebung die Abmessung der Gewölbe in ihrer Dicke auf das Optimum verringern läßt. Aus diesem Theorieansatz heraus sei es zu sehr zweckmäßigen Gewölbefor- men gekommen, allerdings habe sich die Theorie nicht überall durchsetzen können. So habe z.B. Scheffler die Meinung verbreitet, die Theorie könne zu einer Verwirrung der Ansichten über das Gleich- gewicht eines Gewölbes beitragen. Mit der Zeit habe man herausgefunden, daß die Seiltheorie nicht "zur allgemeinen Kenntnis der Stützlinie führt", sie aber trotzdem verwendet, um leichter auf modernere Ansätze von Gewölbetheorien stoßen zu können. (8)
Winkler nennt mehrere Autoren, welche der Seil- theorie anhingen: Gerstner (1831) Knochenhauer (1842) Hagen (1844) Joon Villarceau (1846) Schubert (1847) Hoffmann (1853) Schwedler (1859) Ott (1870) Heinzerling (1872) Ritter (1876) Wittmann (1878)
3. Die Kantungstheorie
Man setze bei ihr voraus, daß sich bei Einsturz des Gewölbes seine Einzelteile um innere oder äußere Kanten gewisser Fugen drehen, was also einen Bruch des Gewölbes "in mehrere gegenseitig kan- tende Theile" ergebe. Erste Ideen dazu habe Cou- plet 1730 formuliert, Colomb wiederum habe 1773 aus diesem Ideenansatz eine erste richtiggehend ausformulierte Kantungstheorie gemacht. Diese sei von Audory im Jahre 1820, von Lamé und Clapeyron im Jahre 1823, sowie von Navier 1826 und Mery 1827 weitergeführt worden. Poncelet habe die ana- lytische Behandlung des Kantungsproblems 1835 durch eine geometrische ersetzt.
Winkler meint, mit der Kantungstheorie sei man nicht imstande die Lage der Stützlinie herauszu- finden, man wisse daher auch nichts Genaues über die Verteilung des Druckes über die Fugen, aber man sei mit dieser Theorie in der Lage festzustellen, ob ein Gewölbe stabil ist oder einstürzen wird. Sie gebe wichtige Anhaltspunkte für die Konstruktion des Gewölbes, über die notwendigen Hintermauerun- gen und Auskunft zu den Widerlagern. (9)
Es gebe verschiedene Hauptsätze der Kantungs- theorie: - Eine Stützlinie, welche dem Maximum und dem Minimum des Horizontalschubes entspreche, habe abwechselnd mit der inneren und mit der äußeren Wölblinie drei Punkte gemein. - Die Stützlinie entspreche dem Maximum, wenn die beiden äußeren Punkte auf der äußeren, der mittlere Punkt auf der inneren Wölblinie - dem Mini- mum, wenn die beiden äußeren Punkte auf der inneren, der mittleren auf der äußeren Wölblinie liege. - Bei flachen Gewölben gehe die Maximal-Stütz- linie durch die obersten Kanten der Kämpferfuge und bei symmetrischer Anordnung durch die unter- ste Kante der Scheitelfuge. Bei Halbkreis- und ge- drückten Ellipsen-Bogen gehe die Maximal-Stütz- linie ebenfalls durch die oberste Kante der Kämp- ferfugen, berühre aber in zwei Punkten die innere Wölblinie; die Minimal-Stützlinie berühre in zwei Punkten die innere Wölblinie (die sogenannten Bruchpunkte) und gehe bei symmetrischer Anord- nung durch die oberste Kante der Scheitelfuge. - Ein Gewölbe befinde sich im labilen Gleichge- wicht, wenn sich im Gewölbe eine Stützlinie kon- struieren lasse, welche sowohl dem Maximum, als auch dem Minimum des Horizontalschubes entspreche, wenn also die Stützlinie mit den bei- den Wölblinien mindestens vier abwechselnd auf der äußeren und inneren Wölblinie liegende Punk- te gemein habe, sodaß beim Einstürzen minde- stens drei Teile des Gewölbe gegenseitig kanten. In diesem Falle sei die Stützlinie die einzig mög- liche, weshalb man sagen könne, es finde ein labiles Gleichgewicht statt, wenn nur eine einzi- ge Stützlinie möglich sei. - Das Gewölbe sei im stabilen Gleichgewicht, wenn sich eine ganz innerhalb des Gewölbes liegende, die Wölblinie nirgends berührende Stützlinie konstruieren lasse. In diesem Falle sei- en außer dieser Stützlinie natürlich noch andere innerhalb des Gewölbe liegende Stützlinien mög- lich. (10)
Man habe die Kantungstheorie durch die Theorie nach dem Prinzip des kleinsten Widerstandes er- weitert, nach der laut Mosley, 1833, diejenige Stütz- linie die richtige sei, für welche der Horizontalschub ein Minimum werde. Scheffler habe 1857 diesen Arbeitsansatz erweitert. Nach ihm würde die wahre Stützlinie mit der äußeren und inneren Wölblinie mindestens acht Punkte gemein haben. Man müs- se aber ein unpreßbares Baumaterial für das Ge- wölbe annehmen, damit diese wahre Stützlinie an- genommen werden könne. (11) Ceradini habe den Arbeitsansatz von Scheffler noch weiter verfeinert, was das Aufsuchen der Stützlinie verbessert habe. (12)
4. Die Theorien nach dem Prinzip der günstigsten Bean- spruchung
Hagen, der 1844 und 1862 dazu publizierte, hatte die Idee ausgebreitet, es müsse die Stützlinie gefunden werden, welche das Gewölbesystem mit der größten Sicherheit stütze. Hänel nannte 1868 die Stützlinie als die günstigste, bei der der spezifische Maximal- druck die unterste Grenze des wirklich möglichen Maximaldruckes habe. Diese Stützlinie sei jedoch nicht die wirkliche Stützlinie im Gewölbe. Im Jahre 1865 behauptet Drouets, die Natur würde die mole- kularen Widerstände im beanspruchten Material nur soweit entfalten, als es notwendig ist, zusammen mit den äußeren Kräften ein Gleichgewicht zu erzeu- gen. Folglich müsse man so verfahren, daß der größte vorkommende spezifische Druck ein Mini- mum darstellt. Drouets bezeichnet sein Prinzip als "metaphysisches Prinzip". Es sei von Dupuit wider- legt worden. Durand Claye habe das Drouets'sche Prinzip 1867 sehr eingehend untersucht und dazu eine graphische Durcharbeitung gegeben. (13)
Auch Culmann lieferte 1866 Aussagen zu dieser Ge- wölbetheorie:
"Von allen Drucklinien ist diejenige die wirkliche, welche sich der Axe des Gewölbes in der Art am meisten nähert, dass der Druck in den am stärk- sten komprimierten Fugenkanten ein Minimum ist". (14)
Winkler legt ihm das so aus:
"Ist das Gewölbe so schwach und die Widerstands- fähigkeit des Materials so gering, dass es nur mög- lich ist, eine einzige Stützlinie einzuzeichnen, wel- che kein Zerdrücken oder Kanten herbei führt, so ist dieselbe die richtige." (15)
Daraus ergebe sich bei einem Material, das mit der Zeit härte, keine Änderung des Zustandes, was sage, die Lage der Stützlinie sei auch bei festerem Material dieselbe. Winkler macht dazu Scherze. Er weist darauf hin, man habe dafür inzwischen das "Prinzip der Schlauheit des Materials" erfunden. (16)
Zu dieser Theorie nach dem Prinzip der günstigsten Beanspruchung gibt es weitere Arbeiten von Car- vallo von 1853, von Harlacher im Jahre 1870 und von Ott aus dem Jahre 1871. Ott legte Wert darauf, daß die Stützlinie durch die Mitte der Kämpfer- und Scheitelfuge geht, damit kein Bruch des Ge- wölbes eintreten kann. Boistard hatte 1822 seine Beobachtungen publiziert, daß die Bruchfuge immer nahe an der inneren Wölblinie liege, am Scheitel jedoch nahe der äußeren Stützlinie sei. Navier meinte 1826, es trete ein Klaffen der Wölbung ein, wenn die Stützlinie das mittlere Drittel verlasse. (17)
5. Die Elastizitätstheorie
Sie entsprang dem neuen Material Eisen, das sich elastisch verhält und Formveränderungen erlebt. Man hatte damit auf den Ersatz von Steinbrücken durch Eisenbrücken reagiert. Später hat man er- kannt, das auch das Steinmaterial bei Gewölben als elastisch anzusehen ist. Bauschinger und Köp- ke hätten durch spezielle Untersuchungen diese Elastizität des Steinmaterials nachgewiesen, in- formiert Winkler. Von Navier sei diese Elastizität bereits angenommen worden, Scheffler habe dies jedoch zurückgewiesen. Zur Zeit der Schrift Wink- lers habe die Elastizitätstheorie jedoch immer mehr Anhänger gefunden. Parallel zu Schwedlers Veröffentlichungen zum Thema von 1868 und der Vorträge von Winkler im Jahre 1874 habe Belpaire zur Elastizitätstheorie im Jahre 1877 publiziert. Hoffmann hielt der Elastizitätstheorie von Schwed- ler entgegen, eine einseitige Belastung werde eine Formänderung erstreben, sie werde aber nicht ein- treten, da die Druckfestigkeit des Baustoffes dies verhindere. Winkler hält dem entgegen, Druckfestig- keit und Elastizität seien zwei völlig verschiedene Dinge, sodaß durch diese Kritik von Hoffmann der Wert der Elastizitätstheorie nicht abzuschwächen sei.
Ich frage mich, wie diese Theorie dem Laien an- schaulich gemacht werden kann. Winkler gibt nach mehreren theoretischen Überlegungen diese For- mulierung:
"Läßt sich eine Stützlinie konstruieren, welche mit der Mittellinie zusammen fällt, so wird diese hier- nach die richtige sein," (18)
woraus sich ergebe, daß die unter dem Namen Seil-Theorie ausformulierte Methode nahezu die richtige ist, nämlich dann, wenn man der Gewölbe- achse genau die Form der Stützlinie gebe. Die Form des Gewölbes sei vermutlich auch die ratio- nellste, bei welcher bei totaler Belastung die Ge- wölbeachse mit der Stützlinie zusammenfalle. (19) Um die Form der Mittellinie zu bestimmen, sind mehrere statische Verfahren notwendig, aus den- nen sich die Dicke der Wölbung ergeben muß, auch um herauszufinden, wie sich innere und äußere Wölblinie belasten lasssen und wie sich dabei die Stützlinie von der Mittellinie entfernen kann.
Winkler weist nun darauf hin, daß alle diese Über- legungen, die dazu hinführten, herauszuarbeiten, daß die Elastizitätstheorie die richtige sei, am nor- malen Zustand des Gewölbe abgehandelt wurden. Dieser Zustand gehe aber verloren, sobald das Lehrgerüst einer Wölbung weggenommen werde. Man müsse in der Folge bereits eine Deformation des Lehrgerüstes schon während der Bauphase an- nehmen, sodann sei davon auszugehen, daß die Widerlager des Gewölbes sich nach dem Entfernen des Lehrgerüstes verschieben werden, außerdem rufe eine Temperaturveränderung, die auf das Ge- wölbe wirkt, Einflüße auf die Gewölbeform hervor. Es entstünde bei diesen Störungen des Ge- wölbes ein Aufklaffen von Fugen. Auf alle diese Auswirkungen sei Rücksicht zu nehmen, durch Gelenke, durch offene Fugen, die nach dem Aus- rüsten der Schalung geschloßen werden, usw. (20)
Gewölbetheorien, obwohl eine komplizierte Ma- terie, müßte man so zur Erklärung bringen, daß sie für jeden Laien anschaulich werden. Es bleibt die Frage, wie lassen sie sich jedem erklären, der sich dafür in einer Ausstellung interessiert. Das da- bei die Entwicklung der Gewölbetheorien bis in un- sere Zeit weiterzuverfolgen ist, ergibt sich von selbst
K.L.
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Anmerkungen: (1) siehe: E.Winkler: Lage der Stützlinie im Gewölbe. S.117-118 in: Deutsche Bauzeitung. Heft Nr.23. Berlin, 1879. S.117f. (2) zitiert aus: E.Winkler, wie vor, S.117 (3) siehe: E.Winkler, wie vor, S.117f. (4)-(6) zitiert aus: E.Winkler, wie vor, S.118 (7)-(8) siehe: E.Winkler, wie vor, S.118 (9)-(11) siehe: E.Winkler, wie vor, S.118 (12) siehe: E.Winkler, wie vor, S.119 (13) siehe: E.Winkler: Lage der Stützlinie im Gewölbe. S.127-130 in: Deutsche Bauzeitung. Heft 25. Berlin, 1879. S.127 (14) Culmann zitiert bei: E.Winkler, wie vor, S.127 (15) zitiert aus: E.Winkler, wie vor, S.127 (16)-(17) siehe: E.Winkler, wie vor, S.127 (18) zitiert aus: E.Winkler, wie vor, S.128 (19) siehe: E.Winkler, wie vor, S.128 (20) siehe: E.Winkler: Lage der Stützlinie im Ge- wölbe. S.58-60 in: Deutsche Bauzeitung. Heft 11. Berlin, 1880. S.58ff.