Das Baustellenseil im 19.Jahrhundert: die vielen Arten der Seile und ihrer Verwendung
Man m=FC=DFte sich damit besch=E4ftigen, in welchem Umfang die Seile auf den Baustellen im Laufe der Geschichte des Bauwesens zum Einsatz kamen. Im Jahre 1861 schrieb jemand zu den Baustellenseilen:
"Die Seile geh=F6ren zu den n=FCtzlichsten und am h=E4ufigsten gebrauchten Gegenst=E4nden auf dem Bauplatze und sind f=FCr die Arbeiten auf demselben so wichtig, da=DF es wirk- lich Unrecht ist, wenn sich der gr=F6=DFte Theil der Architek- ten und Bauunternehmer so wenig damit besch=E4ftigt, de- ren Beschaffenheit und Leistungsf=E4higkeit n=E4her kennen zu lernen; selbst die Arbeiter sind dabei interessirt, denn von der Festigkeit und der zweckm=E4=DFigen Anwendung der Seile h=E4ngt es ab, da=DF Unf=E4lle verh=FCtet werden, bei denen sie der Besch=E4digung am meisten ausgesetzt sind." (1)
W=FCrden wir einen interkulturellen Vergleich ziehen k=F6n- nen, was auf Baustellen zum Ziehen und Binden genom- men wurde und wird, d=FCrfte sich das Bild vom Seil oder von dem mit dem Seil Vergleichbaren interessant vervoll- st=E4ndigen. Doch bleiben wir beim Seil. Woraus besteht das Seilwerk?
"Das wichtigste Element eines jeden Seilwerks ist das Kabelgarn, d.h. die mittelst einer leichten Drehung bewirk- te Verbindung einer gewissen Quantit=E4t von Hanff=E4den. Man gibt diesem Kabelgarn einen Durchmesser von 1 bis
6 Millimeter, und aus deren b=FCndelf=F6rmigen Verbindung entstehen Litzen, welche zu einem Seile zusammenge- dreht werden." (2)Aus Kabelgarnen aus Hanff=E4den waren also im 19.Jahrhun- dert die Litzen f=FCr die Seile geb=FCndelt worden, aus denen wiederum die Seile gedreht worden sind. Hanff=E4den werden zu Kabelgarn, Kabelgarn wird zu Litzen, Litzen werden zu Seil. Bei den Seilen unterschied man damals zwei Arten:
"Es gibt zwei Arten von Seilen, einfache und zusammen- gesetzte. Die ersteren entstehen durch das Zusammen- drehen einer gewissen Anzahl von Litzen und sind die ge- w=F6hnlichen Seile; die zweiten, Greling genannt, haben einfache Seile als Litzen; ihre Litzen sind also selbst von zusammengedrehten Litzen gebildet, und aus diesem Grunde werden sie Kardeele genannt." (3)
Es wird zwischen Seil und Greling unterschieden. Die Sei- le werden aus Litzen gedreht, die Grelings werden aus den Seilen gedreht. Einfache Seile werden dann zur Litze, aus denen dickere und festere Seile gedreht werden. Sol- che Litzen aus gedrehten einfachen Seilen wurden zu Kar- deelen. Man fragt sich, woher die Worte kommen, mit de- nen alle Teile der einfachen und zusammengesetzten Seile benannt werden.
Es ist nicht uninteressant zu lesen, da=DF im Jahre 1861 zwei Arten von einfachen Seilen unterschieden wurden, weil sie aus zwei verschiedenen Arbeitsvorg=E4ngen her- vorgingen:
"Die einfachen Seile werden auf zweierlei Art bearbeitet, und zwar gibt es solche, die blo=DF von Litzen gedreht wer- den, und solche, wo ein Herz die Mitte einnimmt; man vermehrt auf diese Weise ihre Dicke, nicht aber ihre Kraft." (4)
Wenn man liest, da=DF dieser Kern des Seiles, hier Herz genannt, "von nicht gedrehtem Hanf" oder "von einem nicht mehr brauchbarem Seil" gemacht ist, kommen Zweifel, ob sich die Verwendung eines solchen Seiles lohnt. Es sollte offensichtlich dick aussehen, w=FCrde aber schnell in F=E4ulnis =FCbergehen und, was noch schlimmer ist:
"Man darf im Allgemeinen dem auf diese Weise herge- stellten Seilwerk nicht vertrauen". (5)
Es wurde nach Gewicht verkauft. Die ordentlich gedrehten Seile wurden im laufenden Meter angeboten. Nicht alle Seilst=E4rken wurden im Bauwesen gebraucht. Die einfa- chen Seile konnte man in unterschiedlichen St=E4rken be- ziehen:
"Die einfachen Seile haben drei oder vier Litzen, selten mehr; jede Litze besteht aus 2 bis 60, 80 und selbst 90 F=E4den, je nach der St=E4rke und dem Durchmesser, den das Seilwerk haben soll." (6)
Wenn die Litzen aus 2 bis 90 F=E4den bestanden haben sol- len, wirft sich die Frage auf, wie das gemeint ist. Eingangs war zu lesen:
"Das wichtigste Element eines jeden Seilwerks ist das Kabelgarn, d.h. die mittelst einer leichten Drehung bewirk- te Verbindung einer gewissen Quantit=E4t von Hanff=E4den." (7)
Wenn Litzen, die aus Kabelgarn gedreht wurden, aus 2 bis
90 F=E4den bestehen konnten, so ist diese Erkl=E4rung irgend- wie unklar, da =FCbergangen wird, wieviele Hanff=E4den zu Ka- belgarn gemacht werden, um daraus Litzen aus 2 bis 90 F=E4den zu drehen. Vermutlich ist gemeint, da=DF 2 bis 90 Ka- belgarne zu Litzen gedreht wurden und unterschiedliche Seilst=E4rken ergaben.Wenn man liest:
"Das beim Bauwesen gebr=E4uchliche Seilwerk besteht aus: Leinen, Handseilen, R=FCstseilen, Zugtauen, starken Tauen" (8)
l=E4=DFt sich erahnen, wie unterschiedlich Hanfseile Verwen- dung fanden. Nicht zu jeder Seilart ist im Text aus dem Jahre 1861 ihr Zweck genannt, also wozu sie verwendet wurde.
"Die Leinen sind kleine einfache Seile von 3 bis 5 Milli- meter Durchmesser, bestehend aus drei nach Art der Lit- zen gedrehten F=E4den." (9)
Was alles wird man mit ihnen auf den Baustellen gemacht haben? Die Verwendung der Handseile wird jedoch erkl=E4rt:
"Die Handseile, die man gew=F6hnlich zur Verbindung der einzelnen Theile der Mauerger=FCste verwendet, haben ei- nen Durchmesser von 15 bis 18 Millimeter und bestehen aus 4 Litzen von je 6 F=E4den, und ihre L=E4nge betr=E4gt 2 bis
5 Meter." (10)Die Mauerger=FCste wurden auch noch im 20.Jahrhundert mit Seilen zusammengebunden. Wenn man heute eine weltweite Untersuchung der Baustellen vorn=E4hme, d=FCrfte man noch bei sehr vielen Baustellen auf zusammenge- bundene Bauger=FCste sto=DFen. Erheblich st=E4rker sind R=FCst- seile:
"Der Durchmesser der R=FCstseile variirt zwischen 27 und
34 Millimeter, und ihre Litzen, 4 an der Zahl, haben 7 bis 10 F=E4den." (11)Vermutlich waren damit Bauger=FCstteile zusammenzubin- den, die erheblich beansprucht wurden. Auf den Baulei- tungen, die allt=E4glich mit Seilen umzugehen hatten, wird man den Wert der unterschiedlichen Seilarten gut gekannt haben.
"Die Zugtaue haben 47 Millimeter Durchmesser und ha- ben 4 Litzen von je 60 F=E4den." (12)
Um Steine auf Baustellen hochzuziehen, die ungew=F6hnlich schwer waren, verwendete man auch dickere Zugtaue. Die dann =FCblichen wurden so aufgeteilt:
- 54 Millimeter Durchmesser mit 4 Litzen von 60 F=E4den.
- 68 Millimeter Durchmesser mit 4 Litzen von 72 F=E4den.
- 81 Millimeter Durchmesser mit 4 Litzen von 90 F=E4den. Noch st=E4rkere Taue seien damals auf Baustellen un=FCblich gewesen. (13)
Es finden sich im Text viele Hinweise, worauf bei Seilen zu achten ist, wenn man sie f=FCr Baustellen erwirbt, wie sie ge- lagert werden m=FCssen, da=DF sie lange haltbar bleiben, und wie sie unterhalten werden m=FCssen, damit sie m=F6glichst lange nutzbar bleiben. Sch=E4den waren auszubessern, wenn sie auftraten. Vom Einteeren oder Einfetten der Seile wurde dringend abgeraten, um die Bruchfestigkeit nicht zu beein- tr=E4chtigen. Zur Festigkeit von Seilen waren viele Versuche gemacht worden, aus denen ein Tabellenwerk hervorging. Es galt ein einfacher Satz als Hinweis f=FCr den Praktiker:
"So besitzt ein dickes Seil verh=E4ltni=DFm=E4=DFig weniger St=E4r- ke als ein Seil von geringerem Durchmesser; der obschon merkliche Unterschied verdient aber dennoch keine ern- ste Ber=FCcksichtigung, wenn man erw=E4gt, da=DF man der Vorsicht wegen dem Seilwerk nicht mehr als die H=E4lfte der Last, welche den Bruch erzeugt, zumuthet. (14)
Von Duhamel, Rondelet, M.Morin und einigen anderen Autoren standen im 19.Jahrhundert Abhandlungen zu den Seilen zur Verf=FCgung, welche ein Durchdringen der Mate- rie zu Fragen der Haltbarkeit zuliessen. So schildert Du- hamel eine wesentlich geringere Haltbarkeit von feuchten Seilen gegen=FCber v=F6llig trockenen Seilen. Interessant sind f=FCr den interkulturellen Vergleich sind Hinweise auf Seile aus anderen Materialien:
"Man macht nicht allein Seile aus Hanf, sondern auch aus Flachs, Baumwolle und andern Pflanzen, deren Fa- sern sich spinnen lassen. Die seidenen Seile w=FCrden unter allen diejenigen sein, welche den h=F6chsten Grad der Eigenschaften bes=E4=DFen, die man von einem guten Seilwerk verlangt; ihre Dauer, Geschmeidigkeit, ihre St=E4r- ke und besonders ihre gro=DFe Elasticit=E4t w=FCrden kostbare Vortheile sein, wenn der hohe Preis dieses Stoffes es erlaubte, Seile f=FCr den Bauplatz daraus anzufertigen. Derselbe Fall ist es mit dem Flachs. Die Baumwolle z.B. k=F6nnte zur Anfertigung gew=F6hnlicher Seile verwendet werden, wenn die F=E4den dieser Stoffe wegen ihrer Fein- heit, ihrer geringen L=E4nge und ihrer wenigern Z=E4higkeit sich zur Anfertigung widerstandsf=E4higer Seile eigneten." (15)
Amerikanische Schiffe waren damals mit Baumwollse- gel und Baumwollseilen ausgestattet worden, was bei den Seilern, die Hanfseile drehten, mit gro=DFer Aufmerk- samkeit verfolgt wurde. Es hei=DFt im Text vom Jahre
1861, sie h=E4tten sich auf den Seereisen dieser Schiffe bew=E4hrt und man m=FCsse =FCber ihren Einsatz auf der Baustelle nachdenken:"Wie dem nun auch sein m=F6ge, so k=F6nnen die baum- wollenen Seile, da sie weniger steif und Feuchtigkeit an- zuiehend sind als die von Hanf, in solchen F=E4llen vor- theilhaft verwendet werden, wo die Steifigkeit und hygro- metrische Eigenschaft der Seile in gro=DFe Ber=FCcksichti- gung genommen werden mu=DF." (16)
Auch =FCber "die metallenen Seile" wurde reflektiert. Man wu=DFte von ihrer Haltbarkeit, wenn sie aus eisernen Dr=E4h- ten gedreht waren, kannte sie von H=E4ngebr=FCcken, usw. Aber eine Verwendung hatte sich auf den Baustellen noch nicht eingestellt. Hingegen waren eiserne Ketten schon h=E4ufiger auf Baustellen in Gebrauch gekommen, um Lasten zu heben. Man riet jedoch von ihnen ab und pries die Vorteile der Hanftaue f=FCr Hebevorg=E4nge, da sie gr=F6=DFere Sicherheit b=F6ten.
Exkurse zu Seilarten lesen sich spannend. Da Seile eine so gro=DFe Bedeutung auf Baustellen hatten und vielleicht auch immer noch haben, ist eine baugeschichtliche Be- arbeitung des Themas angebracht. Der Literatur ist nachzugehen.
K.L.
Dieser Text von Karl-Ludwig Diehl wurde in
Anmerkungen: (1)-(12) zitiert aus: o.A.: Ueber die Anwendung der Seile auf den Baupl=E4tzen. S.58-64 in: Allgemeine Bauzeitung. Wien, 1861. S.58 (13) siehe: o.A., wie vor, S.58 (14) zitiert aus: o.A., wie vor, S.59 (15)-(16) zitiert aus: o.A., wie vor, S.63