Innovative Biedermeierzeit: das neue Bausystem von Laves in Hannover

Innovative Biedermeierzeit: das neue Bausystem von Laves in Hannover

In der Biedermeierzeit hatte sich der "k.Ober-Hofbaurath" Laves Gedanken gemacht, wie mit einfachen Mitteln ein solides weitgespanntes Tragwerk gestaltet werden kann. Es sollte zudem sehr kosteng=FCnstig gebaut werden k=F6n- nen und "bei der Ueberbr=FCckung von Th=E4lern und Gew=E4s- sern", sowie "bei der Ueberdachung gro=DFer R=E4ume", als da sind "Exerzier- und Reith=E4user, Theater, Versammlungs- s=E4le", verwendbar sein. Zug- und Druckkr=E4fte sollten in den Baukonstruktionsteilen so organisiert sein, da=DF das Trag- werk an den Auflagern keinen Seitenschub, usw. erzeugt, sondern die Kr=E4fte vertikal nach unten abgibt. Er wird f=FCr seine Idee vielleicht Vorbilder gehabt haben.

"Das Prinzip der neuen Konstrukzionsweise besteht in der Kombination der bei allen Baustoffen vorkommenden zwei Hauptkr=E4fte:

  1. der r=FCckwirkenden Festigkeit oder des Widerstandes gegen das Zusammenpressen, wie solche bei allen Arten von Gew=F6lbeb=F6gen und deren Widerlagern in Anspruch ge- nommen wird /:::/;
  2. der absolutien Festigkeit oder des Widerstandes gegen das Zerrei=DFen, welche bei den in neuerer Zeit angewende- ten Kettenz=FCgen der H=E4ngebr=FCcken als wesentliches Be- dingni=DF eintritt /.../." (1)

Kettenbr=FCcken brauchten ein stabiles Widerlager, das den Zugkr=E4ften widersteht. Druckb=F6gen erforderten schwere Auflager, die dem Seitenschub etwas Ausreichendes ent- gegensetzen k=F6nnen. Es ging Laves also darum, diesen Aufwand am Auflager des Tragwerkes verringern zu k=F6n- nen und ein System einzuf=FChren, das die gesamten Ver- h=E4ltnisse des Systems der Kr=E4ftefl=FCsse vereinfacht. Seine gefundene L=F6sung, bei der es um die "innige Verbindung dieser beiden Kr=E4fte" geht, wird so geschildert:

"Wie durch dessen Anwendung ein bedeutendes Tragver- m=F6gen horizontalliegender Bauwerke mit verh=E4ltni=DFm=E4=DFig geringen Mitteln erlangt wird, zeigt Fig.3 /.../." (2)

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Fig. 1-3, Fig. 4-8, Fig. 9-14, Fig. 15-18)

"Bei diesem sogenannten Binder (Lehrbogen, Ferme u.s.w.) strebt der nach oben gew=F6lbte Br=FCckenbogen oder Balken abcdefg r=FCckwirkend gegen das Zusammenziehen der Endpunkte des unter ihm angebrachten, und an den Ende durch Bolzen oder Verzahnung befestigten h=E4ngen- den Bogens ahiklmg, welcher als Kettenzug anzusehen ist, w=E4hrend eben dieser H=E4ngebogen verhindert, da=DF die obere Kurve an den Enden ausweiche. Die H=E4nges=E4ulen bh, ei, dk, el und fm vereinigen mit dem Streben hc, ck, ke und em beide Kurven - deren Wirken sich gegenseitig aufhebt - zu einem f=FCr sich bestehenden Ganzen, welches demnach weder einen Seitendruck auf die Pfeiler, wie bei Gew=F6lben, noch ein Einw=E4rtsziehen, wie bei Ketten- br=FCcken, bewirken kann, mithin blo=DF senkrecht auf die Auflagepunkte an den Ende dr=FCckt, und den gro=DFen Vor- theil gew=E4hrt, da=DF der Schwerpunkt einer solchen Kon- strukzion unter der H=F6he der Ruhepunkte oder Lager zu liegen k=F6mmt, daher ein Ausweichen nach den Seiten nicht stattfinden kann." (3)

Laves suchte nach effektiven Mitteln, wie das Tragverm=F6- gen von Tragwerken gesteigert werden kann. Er kam da- rauf, zwei parallele H=F6lzer an den Enden zu vereinigen und mit Spreizen zur Mitte hin immer weiter auseinander zu bringen. Er bemerkte, da=DF sich dadurch ein erheblich besseres Tragverm=F6gen einstellte. Er =FCbertrug diese An- wendung auch auf Eisenkonstruktionen.

"Die Figuren 4, 5, 6, 7 und 8 stellen die Weise dar, wie nach diesem System das Tragverm=F6gen senkrecht oder auch schr=E4ge stehender St=FCtzen mit wenigeren Mitteln, als bisher =FCblich war, bedeutend vermehrt werden kann, in- dem nach Fig. 4a, zwei H=F6lzer an den Enden mit B=E4ndern vereinigt, und durch drei oder mehrere Keile oder Spreizen auseinander gehalten werden, oder aber bei Anwendung des Eisens, fig. 4b, zwei Platten, welche nach den Enden zu verj=FCngt werden k=F6nnen, und daselbst verbunden sind, ebenfalls durch Anbringung einiger St=E4be in der Mitte ei- nen gr=F6=DFeren Durchmesser ohne Gewichtsvermehrung er- halten." (4)

Er entwickelte verschiedene Bausysteme und probierte auch spindelf=F6rmig hergerichtete Balken aus.

"Die Fig. 5, 6 und 7, a und b, zeigen dieselbe Verbindung in holz und Eisen, wenn die St=FCtze aus drei, vier oder meh- reren Theilen gebildet wird, woraus zu ersehen ist, da=DF bei der Anwendung von Eisen die einzelnen St=E4be durch ge- lochte Scheiben, deren Gr=F6=DFe gegen die Enden sich ver- mindert, durchgesteckt, und auseinandergehalten werden. Fig. 8 zeigt endlich einen Balken, welcher auf =E4hnliche Weise bearbeitet ist." (5)

An weiteren Beispielen, die er im Jahre 1840 publiziert, zeigt er auf, wie sich wohlgestaltete Br=FCcken sehr einfach bauen lassen. Die Fig. 9 und 10 zeigen solche Br=FCcken, bei denen die Binder durch St=E4be gespreizt sind. Mehrere Binder solcher Art k=F6nnen dann eine breitere Br=FCcke erge- ben. Grundrisse und auch Schnitte unterschiedlich breiter Br=FCcken zeigen die Fig.11 bis 14.

Solche Tragwerke lassen sich noch wesentlich verfeinern, wodurch die =DCberbr=FCckung sehr gro=DFer Spannweiten mit relativ leichten Konstruktionen m=F6glich wird.

"Bei gr=F6=DFeren Br=FCcken von 100 und mehr Fu=DF Spannung mu=DF au=DFer der bei den Kettenz=FCgen zu beobachtenden Vorsicht besonders auf die m=F6glichste Leichtigkeit des Oberbaues Bedacht genommen werden, weil eben davon die Anwendung dieses Prinzipes zu sehr gro=DFen Spannun- gen abh=E4ngt. Zu diesem Ende ist der obere Bogen a, b, c, d, e Fig. 15 und 16 aus gu=DFeisernen hohlen Zylindern (R=F6hren) herzustellen, deren Enden massiv und mit so vie- len Einschnitten versehen seyn m=FCssen, als die Zahl der neben einander liegenden Schienen eines Kettenzuges be- tr=E4gt, um solche, wie bei a und b Fig.17 zu sehen, darin mit Bolzen zu befestigen. Die St=F6=DFe der R=F6hren werden nach Fig.18 mit B=E4ndern von Stabeisen vereiniget, in welche die H=E4ngs=E4ulen a zu befestigen sind. Eben solche nach oben durchgehende H=E4ngeeisen dienen dann auch zur Anbringung des Kreuz- und Querverbandes der Br=FCckenbahn und n=F6thigenfalls zur Befestigung des Gel=E4nders." (6)

Ein sehr schlichtes Verfahren, ein Tragwerk aus Holzbal- ken zu erzeugen, wird so beschrieben:

"Die am leichtesten und wohlfeilsten herzustellende Br=FCcke, n=E4chst der aus einfachen Balken, l=E4=DFt sich durch das in Fig. 19 und 20 bezeichnete Verfahren unter Anwen- dung des neuen Konstrukzionsprinzips erlangen. Ein Bal- ken a b wird mittelst einer S=E4ge von c bis d, wie die punk- tirte Linie andeutet, aufgeschnitten, und in diesen Ein- schnitt werden bei e, g, i, Keile oder Spreizen eingesetzt, welche n=F6thigenfalls noch mit Bolzen ef, gh und ik, in ihrer Lage erhalten werden. Zur Sicherung, da=DF der Schnitt nicht bis an die Enden aufrei=DFe, werden bei l und m Zug- b=E4nder von Eisen angelegt, deren Form in der Fig. 21 n=E4- her bezeichnet ist." (7)

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Fig.19-21, Fig. 22-25, Fig. 26-31, Fig. 32-34)

Da=DF sich mit solchen Bindern, wenn viele nebeneinander gelegt werden, sehr breite Br=FCcken erzeugen lassen, ist einfach nachvollziehbar. Wie die jeweilige Dimension der Druck- und Zugelemente auszulegen ist, ergibt sich aus den Berechnungen.

Wenn die begrenzte Holzl=E4nge bei der Holzkonstruktion zur Aneinanderreihung von Balken f=FChren mu=DF, ergeben sich trotzdem M=F6glichkeiten. Laves zeigt solche sicheren St=F6=DFe von Balkenenden in Fig. 22 und 23. Auf Zug bean- spruchte H=F6lzer werden mit Verzahnungen verplattet, was das Auseinandergleiten der Holzer verhindert. Zugb=E4nder aus Eisen halten solche H=F6lzer fest zusammen. Es las- sen sich gro=DFe und breite Tragwerke aus zusammenge- setzten Holzbalken zusammenf=FCgen. Man kann die Bal- kenenden zudem um Konsolen erweitern, um das Aufla- gern zu optimieren. Die Figuren 26 bis 31 zeigen aufwen- digere Holztragwerke f=FCr Br=FCcken. Eine Aufsicht auf die Holzbr=FCcke hat Laves zur Erkl=E4rung beigef=FCgt, ebenso L=E4ngs- und Querschnitte, sowie Details. Die Kombination aus Holz und Eisen ist bei solchen Konstruktionen sehr hilfreich. Ohne festgespannte Verklammerungen w=FCrden die Enden der Balken durch die Spreizung auseinander geschoben.

F=FCr Br=FCcken, die ganz rasch durch Improvisation zustande kommen m=FCssen, z.B. als schlichte Holzger=FCste, die im Gel=E4nde durch Milit=E4rs zu errichten sind, zeigt er primitive Holzkonstruktionen aus Astgabeln oder geteilten Baum- st=E4mmen in den Fig. 32 bis 34.

Laves erl=E4utert also im Jahre 1840 eine ganze Reihe von Tragwerken, die es erlauben, mit einfachen Mittel ein gros- ses Tragverm=F6gen zu erzielen. Er legt den Lesern seines Aufsatzes nahe, da=DF nicht nur jede Art von Br=FCcken, "son- dern auch bei der Ueberspannung oder Bedachung gro=DFer R=E4ume als Theater, Versammlungss=E4le, Reith=E4user und so fort, =FCberhaupt bei der Bedeckung jeder Art von Hohl- bauten" solche Tragwerke Verwendung finden k=F6nnen. Er weist darauf hin, da=DF Bedachungen, die eine sehr geringe Neigung haben, "z.B. bei Lehmd=E4chern nach Dorn'scher Art oder bei Asphaltbedeckungen" solcher Tragwerke sehr geeignet sind. Laves hat nicht nur =FCber diese Arten der Tragwerke theoretisiert, sondern auch etliche solcher Tragwerke gebaut, darunter befinden sich "die Br=FCcken zu Derneberg bei Hildesheim im Hannover'schen", "die Ueber- dachung des Malersaales f=FCr Theater-Dekorazionen auf dem k=F6niglichen Bauhofe in Hannover", und das Tragwerk "des Gr=FCnnwald'schen Reithauses". (8)

Man m=FC=DFte dem nachgehen, was aus diesen Bauten ge- worden ist, ob sich noch Tragwerke von Laves erhalten haben, bzw. wo sich Archivalien zu diesen genannten Bauvorhaben auffinden lassen. Es w=E4re zu =FCberpr=FCfen, ob sich anderswo =E4hnliche Tragwerkssysteme finden, die gleichzeitig oder schon vor Laves entwickelt wurden. Zu- dem m=FC=DFte die weitere Entwicklung dieser Art von Trag- werken nachgezeichnet werden.

K.L.

Dieser Text von Karl-Ludwig Diehl wurde in

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Diskussion gestellt. Der Autor ist =FCber folgende Emailadresse erreichbar: baugeschichte (at) email.de

Anmerkungen: (1) zitiert aus: o.A.: Ueber die Anwendung des neuen, von dem k.Ober-Hofbaurathe Herrn Laves zu Hannover erfundenen Baukonstrukzions-Systems. S.91-94 und Zeichnungen auf Blatt CCCXXXVIII in: Allgemeine Bau- zeitung. Wien, 1840. S.91f. (2)-(5) zitiert aus: o.A., wie vor, S.92 (6)-(7) zitiert aus: o.A., wie vor, S.93 (8) siehe Angaben zu den Bauten im Kontext: o.A., wie vor, S.94

Siehe auch zu Laves: "Als Bauingenieur entwarf er die Verwendung von Gusseisen-Konstruktionen. Er entwickelte einen =84Linsen=93- oder Fischbauchtr=E4ger, den =84Laves-Balken=93, zur Konstruktion weitgespannter, freiaufliegender Tragwerke=93. Diese Erfindung lie=DF er sich patentieren. Sie war aus der Not geboren, dass ihm der Rat der Stadt die Zusch=FCttung eines Stadtgrabens nicht ge- nehmigte, die er dann mit seiner Konstruktion st=FCtzen- los =FCberbr=FCckte. Laves nahm zweimal erfolglos an Architekturwettbewerben teil. Er machte Entw=FCrfe f=FCr den Ausstellungspalast der Weltausstellung (Great Exhibition) in London 1851 sowie f=FCr das Au=DFen- und Kriegsministerium in London 1856. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts verlor Laves an Einfluss bei der Ge- staltung von Hannover." aus:

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Karl-Ludwig Diehl
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