Stahlwerkstoff gesucht

Moin,

mal eine Frage an die Stahl-Experten (mein Werkstoffkundeschein ist schon 30 Jahre her...): Gesucht ist ein Stahl für Glockenklöppel. Seit vielen Jahrzehnten werden Klöppel aus St37 hergestellt, aber seit ein paar Jahren macht man sich Gedanken, ob das nicht zu optimieren wäre. Die Festigkeit spielt überhaupt keine Rolle, weil Klöppel über ihr Trägheitsmoment bemessen werden, was bei St37 praktisch immer dazu führt, dass hinsichtlich der Zugschwellfestigkeit eine mindestens fünffache Sicherheit besteht. Klöppel werden immer aus einem Stück geschmiedet, so dass die 1. Forderung eine sehr gute Schmiedbarkeit ist. Die 2. Forderung ist eine möglichst geringe Härte, denn ein zu harter Klöppel schädigt die Glocke. Die Härte der Glockenbronze ist natürlich legierungsabhängig, kann aber zu rund 180 HB angenommen werden. Infolge des Gebrauchs des Klöppels (ständiges Anschlagen) erhöht sich dessen Härte an den Anschlagstellen bis auf das 2,5-fache des ursprünglichen Zustands, und da kann man sich gut vorstellen, dass ein Klöppel nach mehrjährigem Gebrauch mit z. B. 350 HB die Glocke an ihrem Stoßpunkt schwächt und langfristig schädigt. Von verschiedenen Seiten sind

1.0491 (S275NL) - was ich aber nicht so recht glauben mag -, und 1.0425 (P265GH) vorgeschlagen worden. Was meinen die Experten dazu? Sollen wir doch bei 1.0038 (S235JR) bleiben?

Gruß, Achim.

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Achim Grabinski
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Die beiden vorgeschlagenen Stähle sind fester als der ursprüngliche und darum auch härter, aber die Härte stellt sich ja offensichtlich durch kaltverfestigung selbst ein.

"L" steht für Zähigkeit bei tieferen Temperaturen, IMHO gar nicht schlecht. "P" steht für einen Druckbehälterstahl. Komisch.

Ich würde wahrscheinlich S235J2 wegen der Verfügbarkeit und der Tieftemperaturzähigkeit nehmen.

Michael Dahms

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Michael Dahms

Achim Grabinski schrieb:

Hallo,

wäre es da nicht besser mit zwei Teilen zu arbeiten? Den Schaft des Klöppels aus einem Stahl wie St37 und unten dran eine Kugel aus einem genügend weichen Metall möglichst ohne Kaltverfestigung. Blei oder Zinn sind vermutlich zu weich, wie wäre es mit Kupfer oder einer geeigneten Legierung daraus? Reineisen ohne Kohlenstoff wäre doch auch deutlich weicher. Diese Kugel könnte man ja auch leicht bei Bedarf austauschen.

Bye

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Uwe Hercksen

X-No-Archive: Yes

begin quoting, Uwe Hercksen schrieb:

An sowas hatte ich auch gedacht (ein hinreichend dicker Überzug über den Stahl wäre ausreichend).

Tja - weißt Du eine? Kupfer verfestigt sich auch, korrodiert zudem.

Die Klöppel sollen wohl aus einem Stück geschmiedet und ein Austausch vermieden werden, nehme ich an. Und Bronzeklöppel wären wahrscheinlich zu teuer.

Gruß aus Bremen Ralf

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Ralf . K u s m i e r z

Michael Dahms schrub:

Ok, danke. Noch ne Frage zum S275NL: Behält der beim Schmieden eigentlich sein Feinkorn?

Gruß, Achim.

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Achim Grabinski

Uwe Hercksen schrub:

Macht man auch, aber nur in Sonderfällen. Kugelballen bekommt 2 Bohrungen, und da werden Rotgusspuffer eingesetzt. Ist aber nur bei Glocken aus Gusseisen oder Gussstahl üblich, oder wenn die Glockenbronze wegen hohen Zinn-Anteils oder Porosität sehr spröde ist. Im Übrigen sitzt auch immer die Denkmalpflege im Nacken, da kann man nicht alles machen, was geht. Alle Glocken, die vor Kriegsende '45 gegossen wurden, stehen per definitionem in Deutschland unter Denkmalschutz.

Gruß, Achim.

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Achim Grabinski

Bei einem feinkornbaustahl ist das Datenblatt des Herstellers zu beachten. Durch Überhitzen kann man die Feinkörnigkeit reduzieren. Eigentlich sind Baustähle nicht dazu gedacht, geschmiedet zu werden.

Man könnte auch einen C10 ins Auge fassen.

Michael Dahms

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Michael Dahms

Achim Grabinski schrieb:

Hallo,

wenn die Glocke unter Denkmalschutz steht wäre es doch noch wichtiger das sie einen Klöppel bekommt der sie möglichst schonend anschlägt. Wenn man den Denkmalschutz so auffasst das sowohl Glocke als auch Klöppel im Original erhalten werden müssen kann man eigentlich nur die Glocke stilllegen, vom Turm holen und in einem klimatisierten Raum einmotten.

Bye

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Uwe Hercksen

Nicht ganz so extrem wäre es, zu überprüfen, aus was für einem Stahl der Originalklöppel wirklich hergestellt wurde.

Michael Dahms

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Michael Dahms

Michael Dahms schrieb:

Hallo,

fragt sich allerdings ob man eine Stahlsorte die vor 1945 hergestellt wurde heute noch so bekommt.

Bye

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Uwe Hercksen

Ist wie bei anderen Restaurationen: man schaut, was am besten als Ersatz genommen werden kann.

Michael Dahms

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Michael Dahms

X-No-Archive: Yes

begin quoting, Michael Dahms schrieb:

Das Problem könnte sein, daß es "hinreichend schlechten" (z. B. chemisch inhomogenen) Stahl mit Guß- und Schmiedefehlern und mangelhafter Wärmebehandlung gar nicht mehr bekommt - die Analysedaten könnten ggf. auch für Probenahmen an verschiedenen Stellen entsprechend streuen.

Gruß aus Bremen Ralf

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Ralf . K u s m i e r z

Wie wäre es denn mit einer Beschichtung aus Hartgummi über dem Klöppel?

Gruß

Stefan

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Stefan Brröring

Stefan Brröring schrieb:

Hallo,

es fragt sich ob die Glocke dann noch gut klingt, ausserdem dürfte der Hartgummi nicht Jahrzehnte unbeschadet überstehen, der wird schliesslich rissig und spröde und zerbröselt dann beim Läuten.

Bye

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Uwe Hercksen

Uwe Hercksen schrub:

Korrekt. Deshalb wollen wir lieber die Glocke schonen und den Klöppel längerfristig als Verschleißteil betrachetn als umgekehrt.

Gruß, Achim.

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Achim Grabinski

Wenn Inhomogenitäten und Gussfehler und so so wichtig sind, dann kann die Stahlsorte ja garnicht so wichtig sein.

CU Rollo

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Roland Damm

Stefan Brröring schrub:

Geht aus zwei Gründen nicht: 1. ist der Stoß nicht elastisch genug, d. h. ein Teil der Stoßenergie würde in Wärme umgesetzt, so dass die Geschwindigkeit des Klöppels nach dem Stoß zu klein wäre, 2. ist die Berührungsdauer zu groß, so dass das Gummi die Glocke bedämpfen würde, bevor der Klöppel die Glocke nach dem Stoß wieder verlässt.

Gruß, Achim.

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Achim Grabinski

"Achim Grabinski" schrieb im Newsbeitrag news:hch0p1$pr9$02$ snipped-for-privacy@news.t-online.com...

Hallo,

ich kenne mich mit dem Thema zwar nicht so aus, aber eine "verrückte" Idee hätte ich: Wäre es möglich, den Stahl-Kern des Klöppels mit einem Hartholz-Ring (Eiche.. ?) zu umgeben.. ? Ich denke, der Stoß sollte dann schon ziemlich hart sein, aber doch bedeutend weicher als mit Stahl direkt. Wie die langfristige Haltbarkeit allerdings aussieht, kann ich nicht einschätzen. Meines Wissens werden im asiatischen Raum Glocken auch oft mit Holz-Schlegeln angeschlagen. Ob die ganze Glocke für einen guten Klang dann allerdings sowieso anders ausgelegt ist, weiss ich nicht.

Grüße Christian

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Christian Auerswald

Tach Christian Auerswald schrieb:

Da es um eine Kirche geht:eine Liste der Stahlsorten, Augen zu und blind auswählen.Der da oben wird schon wissen was richtig ist.

Und seitens Kirche kann sich über das Auswahlverfahren auch keiner bei irdischen Gerichten beschweren

MfG

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Bernd Löffler

X-No-Archive: Yes

begin quoting, Roland Damm schrieb:

Daß sie "wichtig" sind, wäre eine etwas eigenartige Sicht der Dinge. Es ist nut ein wenig "unhistorisch", wenn das Produkt nicht "schlecht", sondern dem heute üblichen Stand der Technik entsprechend ist.

Es geht einfach darum, daß man den historischen Zustand nicht vernünftig bestimmen kann, wenn man an jeder Stelle ein anderes Analyseergebnis kriegt, mal abgesehen davon, daß man den historischen Klöppel evtl. auch nicht zerlegen möchte, um an das Innere heranzukommen.

Dann wäre der Versuch, einen "ähnlichen" Werkstoff aus der Liste zu suchen, zum Scheitern verurteilt: Man müßte vielmehr versuchen, das historische Fertigungsverfahren (mit "schlechter" Stahlerzeugung) nachzuahmen und dann ein Zufallsergebnis zu produzieren.

Oder man pfeift eben auf die Historizität und stellt einen funktional optimalen Klöppel mit modernen Fertigungsverfahren her.

So am Rande wäre ich mir übrigens nicht so sicher, ob der Klöppel wirklich nur durch Masse und Trägheitsmoment funktional komplett bemessen ist. Durch den Anprall des Klöppels an der Glocke werden in beiden Stoßwellen und Schwingungen hervorgerufen (was bei der Glocke schließlich Sinn der Sache ist), und der Anschlagvorgang sollte dabei also entscheidenden Einfluß auf Klangentstehung und Materialbeanspruchung haben.

Mal so als extremes Beispiel: Wenn der Klöppel an der Anschlagstelle nicht aus einer Art massiver Stahlkugel bestünde, sondern die Anschlagstelle selbst am Klöppel weich federnd angebracht wäre, dann wäre der Anschlag völlig anders. Man könnte sich also vorstellen, daß bei dem Klöppel hinter der Anschlagfläche ein Hohlraum eingebracht wird, so daß die Wand davor etwas federt - vielleicht würde das das Kraftspitzenproblem schon entschärfen.

Ein anderer Ansatz wäre eine Präzisionsformgebung: Ein kraftvoller Anschlag ist wahrscheinlich wegen der Klangentstehung unabdingbar. Wenn man den Klöppel mit Gummi überzieht, dann beschädigt er zwar die Glocke nicht mehr, aber die klingt dann eben auch nicht. Das Problem sind offenbar die Flächenpressungsspitzen. Um die zu reduzieren, müßte die Anschlagfläche möglichst großflächig sein (also "Postkarte" anstatt "Stecknadelkopf" oder "Erbse") und die Glockeninnenfläche sehr präzise nachformen. Dann geht zwar der Schlag mit voller Stärke auf die Glocke, aber die Flächenpressung bleibt so niedrig, daß die Glocke nicht beschädigt wird, und zwar auch dann, wenn der Klöppel "unendlich hart" wäre.

Eigentlich hat ja nicht der Klöppel, sondern die Glocke das Problem. Eine Lösung könnte also sein, diese unempfindlich zu machen: Zunächst wird die Anschlagfläche des Klöppels wie skizziert passend geformt, und dann wird die Anschlagfläche der Glocke mit einer dünnen Schicht unempfindlichen Metalls, das nicht härtet, belegt, z. B. ein paar Tausendstel Gold aufgelötet. Beim Anschlag wird dann zwar die Goldschicht massiv plastisch umgeformt, baut dabei aber die Druckspitzen effektiv ab, so daß das Glockenmetall selbst nicht geschädigt wird. Und das geht im Prinzip beliebig oft, da Gold eben nicht härtet, sondern kaltduktil bleibt, außerdem ist es vollkommen korrosionsunempfindlich.

Diese Flächenanpassung ist dann "nur" noch ein Fertigungsproblem: Die Kontaktfläche muß beim Läuten präzise ausgerichtet bleiben und darf nicht verkippen, und das auch noch unter den Bedingungen starker Vibrationen und Temperaturwechsel. Der Klöppel müßte also sehr formstabil ausgeführt und relativ präzise gelagert werden, aber da das Referenzobjekt der Relativbewegung die Glocke selbst ist, sollte das wohl möglich sein.

Gruß aus Bremen Ralf

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Ralf . K u s m i e r z

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